Der Pfad des Zorns - Das Buch und das Schwert 1: Buch & Schwert 1 (German Edition)
Oratio von Uster heraufbeschworen hat, ist längst nach Emeris vorgedrungen. Der Aufruf zum Unrecht wird mit unschuldigen Worten beschönigt. Die Flüchtlinge aus den Salinen schmieden ein Komplott gegen den Kaiser, und der Adel ist bereit, Seine Majestät zu verraten, wenn der Aufstand zu einer echten Revolution wird. Keiner von ihnen ist bereit, seinen angestammten Platz aufzugeben, das dürft Ihr mir glauben.«
»Unsinn!«, fauchte Dun und verdrehte die Augen. »Du hast irgendetwas gehört und entstellst jetzt den Sinn.«
»Ich bin die Augen, die Ohren und die Hand des Kaisers , Dun-Cadal. Ich bin der Garant des Kaiserreichs. Ich glaube an den Kaiser, nicht an irgendeine Gottheit. Ihn und seine Welt werde ich verteidigen bis zu meinem Tod. Aber Ihr … Ihr hört und schaut nicht mehr hin. Wenn es eines Tages darum geht zu kämpfen, wird Eure Hand zittern.«
Dun begnügte sich mit einem Nicken. Er fühlte sich so abgestoßen, dass er es vorzog zu gehen, ehe sein Zorn und seine Enttäuschung sich noch einmal Bahn brachen. Ihr Zweikampf war Beweis genug, dass der Krieg genügend Zwietracht säte, um ehemalige Verbündete zu entzweien.
»Heutzutage werden Kriege nicht mehr auf dem Schlachtfeld gewonnen. Kriege bestehen aus Worten und Versprechungen, aus Verführung, Lügen und Verrat. Und alles geschieht im Verborgenen. Aber wer außer mir sieht das schon?«
Worte. Versprechungen. Verrat. Bestand das wahre Duell zwischen ihnen vielleicht nur daraus? Müde vom vielen Reden, versetzte Dun Logrid den Gnadenstoß.
»Seines Namens wird man sich jedenfalls erinnern, deines Namens nicht«, sagte er.
Doch er vergaß Logrids Talente. Talente, die er nie wirklich erkannt hatte – das der Rede, der richtigen Bemerkung zur richtigen Zeit und des Worts, das tiefer treffen konnte als eine scharfe Klinge.
»Das, was ich Euch heute gestanden habe, hat noch nie jemand von mir gehört«, erklärte Logrid kalt. »Niemand anderes als Ihr verdient mein Vertrauen und meinen Respekt. Niemand anderes als Dun-Cadal Daermon wäre in der Lage, das Reich zu retten. Eure Bürde jedoch ist dieser Junge aus den Salinen. Wenn er fällt, wird er Euch mitreißen.« Logrid trat einige Schritte zurück, ehe er hinzufügte: »Und zwar in den tiefsten Abgrund.«
Dun senkte den Blick. Als er wieder aufsah, war der Assassine verschwunden. Minutenlang stand er unbeweglich da. Sonnenflecke tanzten auf den Bodensteinen. Er fühlte sich zwischen Wut und Grübelei hin- und hergerissen. Er war ein Mann des Kriegs – nicht der Worte. Ein General – kein Höfling. Eine eiserne Faust – keiner, der über das Schicksal der Welt verhandelte. Die einzigen Ratschläge, die er dem Kaiser ab und zu gab, zeugten von dem gesunden Menschenverstand der ländlichen Gegend, aus der er stammte. Als Adelsspross aus dem Westen war er als Kind oft barfuß gelaufen.
Logrid hingegen war in den höchsten Kreisen von Emeris aufgewachsen, ehe Dun sein Potenzial entdeckte und ihn zu seinem Nachfolger bestimmte. Ein Sohn aus der besten Gesellschaft namens Duberon hatte ein Mädchen aus guter Familie geschwängert, das Kind aber nicht anerkannt, um seinen Platz bei Hof nicht zu gefährden. Das Schweigen der jungen Mutter erkaufte er sich dadurch, dass er sich verpflichtete, Logrids Studium zu finanzieren. Als Dun auf ihn aufmerksam wurde – damals, als der Kaiser ihm anbot, ihn zum General zu ernennen –, erschien der junge Mann ihm als idealer Nachfolgekandidat. Eine geradezu perfekte Hand des Kaisers , kampferprobt, geschickt und schlau. Ein Helfer für den kranken Kaiser, dessen Macht viele Höflinge bereits infrage stellten. Eine Unterstützung für das Reich, unsterblich, ohne Name und Gesicht, aber keinesfalls ehrlos. Logrid hatte sofort zugestimmt. Seine Mutter war längst schwer erkrankt, nachdem sie ihren Geliebten in den Elendsvierteln der Stadt zu vergessen versucht hatte, und Logrid musste ihren Verfall aus nächster Nähe miterleben, ohne etwas dagegen tun zu können.
Doch die Götter waren ihm gnädig gewesen.
Das erste Opfer des Assassinen war Duberon. Der Graf gehörte zu denjenigen, die nicht mehr an die Zukunft der Familie Reyes glaubten. Im Laufe der Zeit sah Dun nicht den geringsten Anlass, an Logrids Treue oder seinen tatsächlichen Absichten zu zweifeln. Dennoch war er überzeugt, dass Eifersucht eine wichtige Rolle für den jungen Mann spielte. Er zweifelte nicht daran, dass Logrid irgendetwas ausbrütete. Dass sich das Komplott allerdings gegen
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