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Der Pfad im Schnee

Der Pfad im Schnee

Titel: Der Pfad im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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nicht, was ich für Kaede empfunden hatte, und ich wollte nicht über Liebe reden.
    Ich versuchte das Thema zu wechseln. »Ich dachte, dieses Einschläfern machen nur die Kikuta. Stammte Shintaro nicht aus der Familie Kuroda?«
    »Auf der Seite seines Vaters. Seine Mutter war eine Kikuta. Shintaro und dein Vater waren Vettern.«
    Der Gedanke erschreckte mich, dass der Mann, dem ich - wie jeder sagte - glich und dessen Tod ich verursacht hatte, ein so naher Verwandter gewesen sein sollte.
    »Was genau ist in der Nacht geschehen, in der Shintaro starb?«, fragte Yuki neugierig.
    »Ich hörte, wie jemand ins Haus stieg. Das Fenster im ersten Stock war offen wegen der Hitze. Lord Shigeru wollte den Einbrecher lebendig fassen, aber als er sich auf ihn stürzte, fielen wir alle drei in den Garten. Der Eindringling schlug mit dem Kopf auf einen Stein, aber wir glaubten, dass er im Moment des Sturzes auch Gift nahm. Jedenfalls starb er, ohne wieder zu Bewusstsein zu kommen. Dein Vater bestätigte, dass es Kuroda Shintaro war. Später erfuhren wir, dass Shigerus Onkel, die Otorilords, ihn engagiert hatten, um Shigeru zu töten.«
    »Es ist merkwürdig«, sagte Yuki, »dass du dort warst und niemand wusste, wer du bist.«
    Ich antwortete ihr unüberlegt, vielleicht entwaffnet durch die Erinnerungen an jene Nacht: »Nicht ganz so merkwürdig. Shigeru hatte nach mir gesucht, als er mich in Mino rettete. Er wusste bereits von meiner Existenz und wusste auch, dass mein Vater ein Attentäter war.« Lord Shigeru hatte mir das bei einem Gespräch in Tsuwano gesagt. Ich hatte ihn gefragt, ob er mich deshalb ausgewählt habe, und er hatte geantwortet, es sei der Hauptgrund gewesen, aber nicht der einzige. Ich erfuhr nie, was die anderen Gründe gewesen sein mochten, und jetzt würde ich es nie erfahren.
    Yukis Hände bewegten sich nicht mehr. »Mein Vater hatte davon keine Ahnung.«
    »Nein, er sollte glauben, dass Shigeru impulsiv gehandelt hatte, dass es reiner Zufall war, dass er mir das Leben rettete und mich nach Hagi zurückbrachte.«
    »Das alles kann nicht dein Ernst sein.«
    Zu spät weckte ihre Heftigkeit mein Misstrauen. »Was ist jetzt so wichtig daran?«
    »Wie konnte Lord Otori etwas herausfinden, was noch nicht einmal der Stamm vermutete? Was hat er dir noch erzählt?«
    »Er hat mir viel erzählt«, sagte ich ungeduldig. »Er und Ichiro lehrten mich fast alles, was ich weiß.«
    »Ich meine über den Stamm!«
    Ich schüttelte den Kopf, als würde ich die Frage nicht verstehen. »Nichts. Ich weiß nichts über den Stamm als das, was dein Vater mich lehrte und was ich hier gelernt habe.«
    Sie starrte mich an. Ich vermied es, ihr in die Augen zu sehen. »Es gibt noch viel mehr zu lernen«, sagte sie schließlich. »Ich werde dir unterwegs einiges beibringen können.« Sie fuhr mit der Hand über mein kurz geschnittenes Haar und stand wie ihre Mutter mit einer einzigen Bewegung auf. »Zieh das an. Ich werde dir etwas zu essen bringen.«
    »Ich habe keinen Hunger.« Ich hob die Kleidungsstücke auf. Einst waren sie knallbunt gewesen, inzwischen waren die Farben zu einem stumpfen Orange und Braun verblasst. Ich fragte mich, wer die Sachen getragen hatte und was ihm unterwegs zugestoßen war.
    »Wir haben ein paar Stunden Wegs vor uns«, sagte Yuki, »vielleicht bekommen wir heute nichts mehr zu essen. Wenn Akio und ich dir sagen, du sollst etwas tun, dann tust du es. Wenn wir dir sagen, du sollst den Schmutz unter deinen Fingernägeln aufkochen und trinken, dann machst du das. Wenn wir sagen, iss, dann isst du. Und du machst nichts anderes. Diese Art Gehorsam haben wir als Kinder gelernt. Du musst sie jetzt lernen.«
    Ich wollte sie fragen, ob sie gehorsam gewesen war, als sie mir in Inuyama Shigerus Schwert Jato gebracht hatte, aber es erschien mir klüger, nichts zu sagen. Ich zog die Schauspielersachen an, und als Yuki mit dem Imbiss zurückkam, aß ich wortlos.
    Sie schaute mir schweigend zu, und als ich fertig war, sagte sie: »Der Ausgestoßene ist tot.«
    Sie wollten mein Herz verhärten. Ich sah sie weder an noch antwortete ich.
    »Er hat nichts von dir gesagt«, fuhr sie fort. »Ich habe nicht gewusst, dass ein Ausgestoßener so mutig sein würde. Er hatte kein Gift, um sich zu erlösen. Trotzdem hat er nichts gesagt.«
    Ich dankte Jo-An aus ganzem Herzen, dankte den Verborgenen, die ihre Geheimnisse mit sich nehmen… wohin? Ins Paradies? In ein anderes Leben? In das Feuer, das zum Schweigen bringt, ins stille

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