Der Pfad im Schnee
förmlichen eleganten Rede glaubte sie einen Hunger nach weiteren Informationen herauszuhören. Das beunruhigte sie ein wenig, doch zugleich reizte es sie. Ihr schien, als könnte sie ihm alles erzählen und nichts würde ihn schockieren, und sie fühlte sich geschmeichelt durch sein offensichtliches Interesse an ihr.
»Das ist der Arai, der den Noguchi Loyalität schwor.« Ihr Vater kam zornig auf die Hauptursache für seinen Groll zurück. »Wegen dieses Treuebruchs musste ich auf meinem eigenen Land gegen Krieger aus dem Clan der Seishuu kämpfen - einige von ihnen sind sogar mit mir verwandt. Ich wurde hintergangen und unterlag der Übermacht.«
»Vater!« Kaede versuchte ihn zum Schweigen zu bringen. Das ging Lord Fujiwara nichts an, und je weniger über die Schande gesagt wurde, desto besser.
Der Gast nahm die Enthüllung mit einer leichten Verbeugung zur Kenntnis. »Lord Shirakawa wurde verwundet, glaube ich.«
»Zu leicht«, entgegnete er. »Es wäre besser gewesen, sie hätten mich getötet. Ich sollte mir selbst das Leben nehmen, aber meine Töchter machen mich schwach.«
Kaede hatte keinen Wunsch, noch mehr zu hören. Zum Glück wurden sie von Ayame unterbrochen, die Tee und kleine Happen gesüßter Bohnenpaste brachte. Kaede servierte beides den Männern, entschuldigte sich und überließ sie ihrem weiteren Gespräch. Fujiwaras Blicke folgten ihr, als sie ging, und sie hoffte impulsiv, sie könne wieder mit ihm reden, aber nicht im Beisein ihres Vaters.
Es war undenkbar, dass sie so etwas vorschlug, doch von Zeit zu Zeit versuchte sie sich auszudenken, wie es dazu kommen könnte. Aber ein paar Tage später sagte ihr Vater, Lord Fujiwara habe eine Botschaft geschickt und Kaede eingeladen, ihn zu besuchen und seine Bildersammlung und andere Schätze zu betrachten.
»Du hast irgendwie sein Interesse geweckt«, sagte er etwas überrascht.
Erfreut, doch auch ein wenig ängstlich, forderte Kaede Shizuka auf, im Stall Amano zu bitten, Raku zu satteln und mit ihr zu Fujiwaras Residenz zu reiten, die etwas mehr als ein Stundenritt entfernt war.
»Sie müssen die Sänfte nehmen«, entgegnete Shizuka entschieden.
»Warum?«
»Lord Fujiwara kommt vom Hof. Er ist ein Edelmann. Sie können ihn nicht zu Pferd besuchen wie ein Krieger.« Shizuka sah streng aus und verdarb dann ihre Wirkung, indem sie kicherte und hinzufügte: »Wenn Sie ein Junge wären und auf Raku geritten kämen, würde er Sie wahrscheinlich nie mehr weglassen! Aber Sie müssen ihn als Frau beeindrucken; Sie müssen sich perfekt präsentieren.« Kritisch betrachtete sie Kaede. »Zweifellos wird er Sie für zu groß halten.«
»Er hat bereits gesagt, ich sei schön«, entgegnete Kaede gekränkt.
»Er muss Sie makellos finden. Wie eine blassgrüne Keramikschale oder ein Gemälde von Sesshu. Dann wird er den Wunsch spüren, Sie in seine Sammlung aufzunehmen.«
»Ich will nicht Teil seiner Sammlung sein!«, rief Kaede.
»Was wollen Sie denn?«, fragte Shizuka ernst.
Kaede antwortete im gleichen Ton: »Ich will mein Land wieder aufbauen und fordern, was mir gehört. Ich will Macht haben wie die Männer.«
»Dann brauchen Sie einen Verbündeten«, sagte Shizuka. »Wenn es Lord Fujiwara sein soll, müssen Sie für ihn vollkommen sein. Schicken Sie ihm eine Botschaft, Sie hätten einen schlechten Traum gehabt und der Tag erscheine Ihnen ungünstig. Teilen Sie ihm mit, dass Sie ihn übermorgen besuchen. Das sollte uns Zeit genug geben.«
Die Botschaft wurde geschickt und Kaede überließ sich Shizukas Bemühungen. Ihr Haar wurde gewaschen, die Augenbrauen gezupft, die Haut mit Kleie geschrubbt, mit Lotionen massiert und wieder geschrubbt. Shizuka sah alle Kleidung im Haus durch und wählte für Kaede einige Gewänder ihrer Mutter aus. Sie waren nicht neu, doch die Stoffe waren von hoher Qualität und die Farben - grau wie ein Taubenflügel und das Violett eines Kleebuschs - brachten Kaedes elfenbeinfarbene Haut und die blauschwarzen Lichter in ihrem Haar zur Geltung.
»Sie sind auf jeden Fall schön genug, um sein Interesse zu wecken«, sagte Shizuka. »Doch Sie müssen ihn auch faszinieren. Erzählen Sie ihm nicht zu viel. Ich glaube, er ist ein Mann, der Geheimnisse liebt. Wenn Sie Ihre Geheimnisse mit ihm teilen, achten Sie darauf, dass er einen angemessenen Preis dafür bezahlt.«
Die Nächte waren mit den ersten Frösten kalt geworden, doch die Tage waren klar. In den Bergen rings ums Haus leuchteten Ahorn und Sumach, rot wie Flammen
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