Der Pfad im Schnee
jetzt. Außer Lady Maruyama. Sie klammerte sich an diese Rettungsleine, an das Versprechen, das sie ihrer Verwandten gegeben hatte, und schlief endlich ein.
Am nächsten Morgen verabschiedete sich Kaede von Arais Männern, die sie drängte, so bald wie möglich aufzubrechen. Die Krieger gingen gern, sie wollten zu den Feldzügen im Osten zurückkehren, bevor der Winter kam. Kaede war ebenso darauf versessen, sie loszuwerden, weil sie fürchtete, sie noch nicht einmal einen weiteren Tag lang durchfüttern zu können. Danach wies sie die Dienerinnen an, das Haus zu putzen und die Schäden im Garten zu beheben. Beschämt vertraute Ayame ihr an, dass Arbeiter nicht bezahlt werden konnten. Alles Geld und die meisten Schätze von Shirakawa waren weg.
»Dann müssen wir selbst tun, was wir können«, sagte Kaede, und als die Arbeiten im Gang waren, begab sie sich mit Kondo zu den Ställen.
Ein junger Mann begrüßte sie mit einer Ehrerbietung, die seine Freude nicht verbergen konnte. Es war Amano Tenzo, der einst ihren Vater zum Schloss Noguchi begleitet hatte und den sie kannte, seit sie beide Kinder gewesen waren. Jetzt war er etwa zwanzig Jahre alt.
»Das ist ein schönes Pferd«, sagte er, als er Raku brachte und ihn sattelte.
»Es ist ein Geschenk von Lord Otoris Sohn«, sagte Kaede und streichelte den Hals des Pferdes.
Amano strahlte. »Die Pferde der Otori sind bekannt für ihre Ausdauer und ihren Verstand. Es heißt, sie dürfen in den Wasserwiesen laufen und sind vom Flussgeist gezeugt. Mit Ihrer Erlaubnis bringen wir die Stuten zu diesem Hengst und bekommen im nächsten Jahr seine Fohlen.«
Es gefiel ihr, wie er sie direkt ansprach und über solche Dinge mit ihr redete. Die Stallungen waren in besserem Zustand als die meisten anderen Teile des Gutes, sauber und gepflegt, doch außer Raku, Amanos eigenem braunen Hengst und vier Pferden, die Kondo und seinen Männern gehörten, gab es nur drei weitere Schlachtrösser, alle alt und einer lahm. Pferdeschädel waren am Dachgesims befestigt und der Wind heulte in den leeren Augenhöhlen. Kaede wusste, dass sie die Tiere unten beschützen und beruhigen sollten, doch momentan gab es hier mehr Tote als Lebende.
»Ja, wir brauchen mehr Pferde«, sagte sie. »Wie viele Stuten haben wir?«
»Im Augenblick nur zwei oder drei.«
»Können wir vor dem Winter noch mehr bekommen?«
Er sah bedrückt aus. »Der Krieg, die Hungersnot… dieses Jahr ist für Shirakawa verheerend gewesen.«
»Du musst mir das Schlimmste zeigen«, sagte sie. »Reite jetzt mit mir aus.«
Raku hielt den Kopf hoch und spitzte die Ohren. Er schien zu schauen und zu horchen. Als sie näher kam, wieherte er leise, sah aber weiter in die Ferne.
»Ihm fehlt jemand - vermutlich sein Herr«, sagte Amano. »Machen Sie sich deshalb keine Sorgen. Er wird sich an uns gewöhnen und darüber wegkommen.«
Sie klopfte dem Pferd auf den hellgrauen Hals. Mir fehlt er auch, flüsterte sie lautlos. Werden wir beide je darüber wegkommen? Sie spürte, wie sich das Band zwischen ihr und dem kleinen Pferd verstärkte.
Jeden Morgen ritt sie aus und erkundete mit Kondo und Amano ihre Domäne. Nach einigen Tagen kam ein älterer Mann an die Tür und wurde von den Dienerinnen mit Freudentränen begrüßt. Es war Shoji Kiyoshi, der älteste Gefolgsmann ihres Vaters, der verwundet worden war; man hatte gefürchtet, er sei tot. Seine Kenntnisse über die Domäne, ihre Dörfer und die Bauern waren unerschöpflich. Kaede begriff schnell, dass er ihr viel von dem erklären konnte, was sie wissen musste. Zuerst tat er ihr den Gefallen, er fand es sonderbar und etwas komisch, dass ein Mädchen solche Interessen haben sollte, aber ihr rasches Verständnis für die Angelegenheiten und ihr gutes Gedächtnis überraschten ihn. Er fing an, Probleme mit ihr zu besprechen, und sie spürte, dass sie ihm vertrauen konnte, obwohl sie nie das Gefühl verlor, dass er mit ihr nicht einverstanden war.
Ihren Vater interessierte die alltägliche Verwaltung des Besitzes kaum und Kaede vermutete, dass er sorglos, sogar ungerecht gewesen war, obwohl es illoyal schien, so etwas zu denken. Er verbrachte die Tage mit Lesen und Schreiben in seinem Zimmer. Sie ging jeden Nachmittag zu ihm und beobachtete ihn geduldig. Er starrte lange Zeit in den Garten und sagte nichts, während Ayame und die Dienerinnen unermüdlich darin arbeiteten, doch manchmal murmelte er vor sich hin und beklagte sein Schicksal.
Kaede bat ihn, sie zu unterrichten, sie
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