Der Pfad im Schnee
Nase den Geruch der Brauerei oder der Sojabohnenprodukte. Ich träumte von Kaede und sehnte mich nach ihr, und manchmal, wenn ich allein war, holte ich Shigerus Brief hervor und las seine letzten Worte, mit denen er mich angewiesen hatte, seinen Tod zu rächen und mich um Lady Shirakawa zu kümmern. Bewusst hatte ich mich entschieden, zum Stamm zu gehen, doch selbst in diesen frühen Tagen stellten sich kurz vor dem Schlaf unerwünschte Bilder ein von seinen Onkeln, die straflos in Hagi lebten, und seinem Schwert Jato, das in Terayama schlief.
Als wir in Matsue ankamen, waren Yuki und ich ein Liebespaar. Es war zwangsläufig geschehen, doch ohne meinen Willen. Unterwegs hatte ich sie stets bemerkt, meine Sinne waren auf ihre Stimme, ihren Duft eingestellt. Aber ich war mir meiner Zukunft, meiner Stellung in dieser Gruppe zu unsicher, auch zu vorsichtig und misstrauisch, um mich ihr zu nähern. Offensichtlich fand auch Akio sie anziehend. Er suchte ihre Gesellschaft, fühlte sich darin wohler als in jeder anderen, ging auf der Straße neben ihr, saß bei den Mahlzeiten an ihrer Seite. Ich wollte ihn nicht noch mehr gegen mich aufbringen.
Yukis Position in der Gruppe war unklar. Sie fügte sich Akio und behandelte ihn immer mit Respekt, doch sie schien ihm gleichgestellt zu sein, und wie ich aus Erfahrung wusste, hatte sie größere Fähigkeiten. Keiko stand offenbar tiefer in der Rangfolge, vielleicht kam sie aus einer weniger angesehenen Familie oder einer Seitenlinie. Sie übersah mich weiterhin, war jedoch Akio blind ergeben. Den älteren Mann, Kazuo, behandelten alle wie eine Mischung aus Diener und Onkel. Er beherrschte viele Fertigkeiten, unter anderem konnte er stehlen.
Akio war durch väterliche und mütterliche Abstammung ein Kikuta, sozusagen mein Vetter zweiten Grades, und seine Hände waren wie meine geformt. Seine körperlichen Fertigkeiten waren erstaunlich; er hatte die schnellsten Reflexe, die ich je gesehen hatte, und konnte so hoch springen, dass es aussah, als würde er fliegen. Doch die ungewöhnlicheren Talente der Kikuta hatte er nicht geerbt, auch wenn er beim Jonglieren eine ungewöhnliche Gewandtheit zeigte und wahrnahm, wenn sich jemand unsichtbar machte oder sein zweites Ich abspaltete. Yuki erzählte mir das eines Tages, als wir den anderen ein Stück vorausgingen.
»Die Meister fürchten, dass die Talente aussterben. Jede Generation scheint weniger davon zu haben.« Sie sah mich von der Seite an und fügte hinzu: »Deshalb ist es uns so wichtig, dich bei uns zu behalten.«
Ihre Mutter hatte das Gleiche gesagt und ich hätte gern mehr darüber gehört, aber Akio rief mir zu, dass ich an der Reihe sei, den Karren zu schieben. Ich sah die Eifersucht in seinem Gesicht, als ich auf ihn zuging. Das verstand ich, auch seine Feindseligkeit mir gegenüber konnte ich nur zu gut begreifen. Er war dem Stamm fanatisch ergeben, er war in dessen Lehren, dessen Lebensweise erzogen. Ich musste mir eingestehen, dass mein plötzliches Auftauchen wahrscheinlich viele seiner Ziele und Hoffnungen zerschlug. Aber diese Antipathie zu verstehen machte es nicht leichter, sie zu ertragen, es führte auch nicht dazu, dass ich ihn mochte.
Ich sagte nichts, als ich ihm die Karrengriffe abnahm. Er lief vor, um neben Yuki zu gehen, flüsterte mit ihr und vergaß wie so oft, dass ich jedes Wort hörte. Er hatte angefangen, mich den Hund zu nennen, und der Spitzname enthielt genug Wahrheit, um hängen zu bleiben. Ich habe schließlich eine gewisse Wesensverwandtschaft mit Hunden, ich kann hören, was sie hören, und ich habe erfahren, wie es ist, sprachlos zu sein.
»Was hast du zu dem Hund gesagt?«, fragte Akio Yuki.
»Ich bringe ihm immerzu was bei«, antwortete sie lässig. »Es gibt noch so viel, was er lernen muss.«
Doch was sie mir am besten beibrachte, war die Liebeskunst.
Sowohl Yuki wie Keiko schlüpften unterwegs in die Rolle von Prostituierten, wenn es sein musste. Das machten viele vom Stamm, Männer und Frauen, und niemand dachte deshalb schlechter von ihnen. Es war einfach eine andere Rolle, die man annahm und wieder ablegte. Natürlich hatten die Clans ganz andere Vorstellungen von der Jungfräulichkeit ihrer Bräute und der Treue ihrer Frauen. Männer konnten tun, was sie wollten; von Frauen wurde erwartet, dass sie tugendhaft waren. Ich war mit Lehren aufgewachsen, die irgendwo in der Mitte lagen: Die Verborgenen sollen rein in Angelegenheiten körperlicher Begierden sein, doch tatsächlich
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