Der Pfad im Schnee
nicht zu heiraten«, entgegnete Kaede.
Er lächelte, er hielt das für einen Scherz. Natürlich, dachte sie, war es ein Scherz. Frauen in ihrer Stellung, von ihrem Rang heirateten immer oder wurden verheiratet an denjenigen, der die vorteilhafteste Verbindung versprach. Doch solche Heiraten wurden von Vätern oder Clanführern oder anderen Oberherren arrangiert und von all diesen schien sie plötzlich befreit zu sein. Ihr Vater war tot wie die meisten seiner älteren Gefolgsleute. Der Clan der Seishuu, zu dem die Familien Maruyama und Shirakawa gehörten, war völlig von dem Aufruhr in Anspruch genommen, der dem Sturz der Tohan und dem plötzlichen, unerwarteten Aufstieg von Arai Daiichi gefolgt war. Wer sagte ihr also, was sie tun sollte? War es jetzt Arai? Sollte sie ein formelles Bündnis mit ihm eingehen und ihn als ihren Oberherrn anerkennen? Und was waren die Vorteile oder Nachteile eines solchen Schrittes?
»Sie sind sehr ernst geworden«, sagte der Arzt. »Darf ich fragen, was Sie beschäftigt? Sie müssen versuchen, sich keine Sorgen zu machen.«
»Ich muss entscheiden, was ich tun soll.«
»Ich schlage vor, nichts zu tun, bis Sie kräftiger sind. Es ist fast Winter. Sie müssen sich ausruhen, gut essen und sehr darauf achten, dass Sie sich nicht erkälten.«
Und ich muss meine Ländereien zusammenlegen, Sugita Harnki in Maruyama verständigen, dass ich mein Erbe antreten will, und Geld und Nahrung für meine Leute auftreiben, dachte sie, aber sie sagte es nicht laut zu Ishida.
Als es ihr wieder besser ging, fing sie an, das Haus in Stand zu setzen, bevor die Schneefälle begannen. Alles wurde gewaschen, neue Matten wurden ausgebreitet, Läden repariert, Fliesen und Schindeln ersetzt. Der Garten wurde wieder gepflegt. Kaede hatte kaum Geld, um etwas zu bezahlen, aber sie fand Männer, die für das Versprechen einer Entlohnung im Frühjahr für sie arbeiteten, und täglich lernte sie mehr darüber, wie sie mit einem Blick oder einem bestimmten Ton deren treue Dienste gewann.
Sie zog in die Räume ihres Vaters, wo sie endlich uneingeschränkten Zugang zu seinen Büchern hatte. Sie verbrachte Stunden mit Lesen und Schreibübungen, bis Shizuka, die um ihre Gesundheit fürchtete, mit Hana kam, die sie ablenken sollte. Dann spielte Kaede mit ihrer Schwester und lehrte sie lesen und den Pinsel gebrauchen wie ein Mann. Unter Shizukas strenger Aufsicht hatte Hana etwas von ihrer Unbändigkeit verloren. Sie war so lernbegierig wie Kaede.
»Wir hätten beide als Jungen geboren werden sollen«, seufzte Kaede.
»Dann wäre Vater stolz auf uns gewesen«, sagte Hana. Sie drückte die Zunge an die oberen Zähne, während sie sich auf die Schriftzeichen konzentrierte.
Kaede antwortete nicht. Sie sprach nie von ihrem Vater und versuchte nicht an ihn zu denken. Sie konnte wirklich nicht mehr klar unterscheiden zwischen den tatsächlichen Ereignissen bei seinem Tod und den fiebrigen Halluzinationen ihrer Krankheit. Shizuka und Kondo befragte sie nicht aus Angst vor den Antworten. Sie war im Tempel gewesen, hatte die Trauerriten vollzogen und einen schönen gemeißelten Stein für das Grab ihres Vaters in Auftrag gegeben, doch sie fürchtete immer noch seinen Geist, der am Rand der Fieberröte gelauert hatte. Obwohl sie sich an den Gedanken klammerte, ich habe nichts Unrechtes getan, konnte sie nicht an ihn denken ohne plötzliche Schamgefühle, die sie mit Zorn verschleierte.
Tot wird er mir nützlicher sein als lebendig, entschied sie und ließ verbreiten, dass sie wieder den Namen Shirakawa trage, weil ihr Vater gewollt hatte, dass sie seine Erbin sei und im Haus der Familie bleibe. Als Shoji nach der Trauerzeit wieder ins Haus kam und mit ihr die Akten und Geschäftsbücher durchsah, glaubte sie in seiner Haltung eine gewisse Missbilligung zu entdecken, doch die Unterlagen waren in einem so schrecklichen Zustand, dass sie ihre Wut darüber als Mittel einsetzte, um ihn einzuschüchtern. Es war kaum zu glauben, dass die Geschäfte so vernachlässigt worden waren. Wie sollte sie Nahrung für die Männer beschaffen, die bereits in ihren Diensten standen, und für deren Familien, ganz abgesehen von denen, die sie noch anzustellen hoffte? Das war ihre Hauptsorge.
Mit Kondo sah sie die Rüstungen und Waffen durch und gab Anweisungen für Reparaturen und Neuanschaffungen. Allmählich verließ sie sich immer mehr auf seine Erfahrung und seinen Rat. Er schlug vor, sie solle die Grenzen der Domäne wieder befestigen, um
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