Der Pfad im Schnee
sind Fremde, Gesandte von Lord Arai, fünf oder sechs, mit Pferden.«
Kaede wies ihn an, so viele Männer wie möglich zu versammeln und den Eindruck zu vermitteln, dass er noch viele weitere herbeirufen könne.
»Sag den Frauen, sie sollen ein Mahl bereiten«, befahl sie Shizuka. »Mit allem, was wir haben, es soll üppig sein. Es muss aussehen, als würden wir im Wohlstand leben. Hilf mir beim Umkleiden und bringe meine Schwestern her. Dann darfst du dich nicht mehr sehen lassen.«
Kaede zog das eleganteste Gewand an, das Fujiwara ihr geschenkt hatte, und erinnerte sich wie immer an den Tag, an dem sie es Hana versprochen hatte.
Sie wird es bekommen, wenn es ihr passt, dachte sie, und ich schwöre, dass ich da sein werde, um zu sehen, wie sie es trägt.
Hana und Ai kamen ins Zimmer. Hana schwatzte erregt und sprang auf und ab, um warm zu bleiben. Ayame folgte, sie trug eine Kohlenpfanne. Kaede zuckte zusammen, als sie sah, wie viele Kohlen darin waren: Sie würden noch mehr frieren, wenn Arais Männer gegangen waren.
»Wer kommt?«, fragte Ai nervös. Seit dem Tod ihres Vaters und Kaedes Krankheit war sie anfälliger geworden, als ob die beiden Schicksalsschläge sie geschwächt hätten.
»Arais Gesandte. Wir müssen einen guten Eindruck machen. Deshalb habe ich mir wieder Hanas Gewand ausgeliehen.«
»Mach es nicht schmutzig, ältere Schwester«, sagte Hana und stöhnte, als Ayame anfing, ihr das Haar zu kämmen. Gewöhnlich trug sie es zusammengebunden. Lose reichte es bis auf den Boden.
»Was wollen sie?« Ai war blass geworden.
»Ich nehme an, das werden sie uns sagen.«
»Muss ich dabei sein?«, fragte Ai.
»Ja, zieh das andere Gewand an, das Lord Fujiwara geschickt hat, und hilf Hana beim Ankleiden. Wir müssen alle drei zusammen sein, wenn sie ankommen.«
»Warum?«, fragte Hana.
Kaede gab keine Antwort. Sie wusste selbst kaum den Grund. Blitzschnell war ihr ein Bild in den Sinn gekommen, wie sie zu dritt in dem einsamen Haus saßen, die drei Töchter von Lord Shirakawa, unnahbar, schön, gefährlich… so mussten sie auf Arais Krieger wirken.
»Große Gnädige, große Mitfühlende, hilf mir«, betete sie zu der Weißen Göttin, während Shizuka ihr die Schärpe band und die Haare kämmte.
Sie hörte das Pferdegetrappel vor dem Tor, hörte Kondos Willkommensgruß für die Männer. Er traf genau den richtigen Ton, höflich und selbstbewusst, und sie dankte dem Himmel für die schauspielerischen Fähigkeiten des Stamms und hoffte, dass ihre ebenso groß waren.
»Ayame, führe unsere Besucher zum Gästepavillon«, sagte sie. »Serviere ihnen Tee und etwas zu essen. Den besten Tee und das schönste Geschirr. Wenn sie gegessen haben, bitte ihren Anführer, hierher zu kommen und mit mir zu reden. Hana, wenn du fertig bist, komm und setz dich neben mich.«
Shizuka half Ai mit ihrem Kleid und kämmte ihr rasch die Haare. »Ich werde mich verstecken, wo ich zuhören kann«, flüsterte sie.
»Öffne die Fensterläden, bevor du gehst«, sagte Kaede. »Wir werden die letzten Sonnenstrahlen bekommen.« Denn der Regen hatte aufgehört und eine unbeständige Sonne warf ein silbriges Licht über den Garten und ins Zimmer.
»Was muss ich tun?« Hana kniete sich neben Kaede.
»Wenn die Männer hereinkommen, musst du dich genau im selben Augenblick verneigen wie ich. Und dann so schön aussehen, wie du kannst, und sitzen, ohne einen Muskel zu bewegen, während ich rede.«
»Ist das alles?« Hana war enttäuscht.
»Beobachte die Männer, schau sie dir genau an, ohne es zu zeigen. Du kannst mir hinterher sagen, was du von ihnen hältst. Du auch, Ai. Ihr dürft euch nichts anmerken lassen, auf nichts reagieren - wie Statuen.«
Ai kam und kniete sich auf Kaedes andere Seite. Sie zitterte, beruhigte sich dann aber.
Die letzten Sonnenstrahlen drangen ins Zimmer, ließen die Staubteilchen tanzen und beschienen die drei Mädchen. Der wieder in Stand gesetzte Wasserfall, vom Regen verstärkt, war aus dem Garten zu hören. Ein blauer Schatten blitzte auf, als ein Eisvogel von einem Stein ins Wasser tauchte.
Aus dem Gästepavillon kam das Gemurmel von Männerstimmen. Kaede glaubte ihren fremdartigen Geruch aufzufangen. Das machte sie nervös. Sie setzte sich aufrecht und wurde innerlich eiskalt. Der Macht der Männer würde sie ihre eigene entgegensetzen. Sie würde sich daran erinnern, wie leicht sie sterben konnten.
Nach einer Weile hörte sie, wie Ayame den Männern sagte, Lady Shirakawa würde sie jetzt
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