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Der Pfahl - Laymon, R: Pfahl - Stake

Der Pfahl - Laymon, R: Pfahl - Stake

Titel: Der Pfahl - Laymon, R: Pfahl - Stake Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Laymon
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Pfahl heraus und sie ist wirklich ein Vampir. Wäre sie so wie die Bonnie, die mich heute Morgen besucht hat?
    Würde sie so riechen? So aussehen?
    Würde sie sich so benehmen?
    Würde sie mich lieben?

28
    Kurz bevor die sechste Stunde begann, betrat Lane das Klassenzimmer. Ungefähr die Hälfte der Stühle war noch unbesetzt. Auch Bensons und Jessicas.
    Als sie zu ihrem Pult ging, blickte Lane auf Jessicas leeren Platz.
    Das Mädchen würde nie mehr dort sitzen.
    Ein überwältigender und düsterer Gedanke, der in Lanes Magen ein heißes Gefühl der Übelkeit auslöste. Sie setzte sich und sank nach vorn, die Ellbogen auf der Tischplatte, die Hände an den Wangen, den Blick starr geradeaus.
    Ihr fiel auf, dass Mr. Kramer die restlichen Schriftstellerbilder an den Korkstreifen gepinnt hatte. Sie war gestürzt, als sie sich ausgestreckt hatte, um das Bild von Sandburg aufzuhängen, dessen ruhiges und feierliches Gesicht – sein weißes Haar bedeckte ein Auge – nun an seinem Platz neben Frost hing. Neben Sandburg hatte Mr. Kramer noch T. S. Eliot, F. Scott Fitzgerald und Thomas Wolfe an der Wand befestigt.
    Es waren also nur noch vier übrig, dachte sie.
    Der Sturz schien so eine bedeutende Angelegenheit gewesen zu sein: ihre Ungeschicklichkeit, ihre Scham darüber, dass Mr. Kramer so viel von ihrem Körper zu sehen bekam, die Erregung, die sie verspürt hatte, als er sie berührte. Jetzt spielte all das keine große Rolle mehr. Jessicas Tod ließ die Bedeutung aller anderen Dinge schrumpfen.
    Sie hatte sie kaum gekannt. Sie hatte sie nicht mal leiden können.
    Aber seit sie von ihrer Ermordung gehört hatte, fühlte sich Lane klein und unbedeutend, als wäre ihr eigenes Leben nur eine Aufführung. Sie spielte in ihrem eigenen dummen kleinen Theaterstück. Und während sie sich in der Sicherheit ihrer winzigen Bühne mit ihren unwichtigen Problemen, Hoffnungen und Wünschen beschäftigte, geschahen in der wirklichen Welt nebenan echte Dinge. Das war ein furchtbarer, fremder Ort voll Dunkelheit und gewaltsamem Tod.
    Dieses Gefühl gefiel ihr überhaupt nicht. Alles was sie tat, erschien dadurch so belanglos. Noch schlimmer war die quälende Sorge, dass sie selbst irgendwann auf irgendeine Weise hineingezogen werden könnte in diese wirkliche Welt, in der Jessica und so viele andere Menschen (früher oder später vielleicht sogar jeder) zerstört wurden.
    Diese Vorstellung fürchtete sie zu Tode.
    Den ganzen Tag über war ihr, wann immer sie an Jessica erinnert worden war, der Schweiß ausgebrochen. Auf dem Weg zur sechsten Stunde hatte sie die Toilette aufgesucht und an ihren Achselhöhlen gerochen. Dank ihres Deos hatte sie zwar nicht unangenehm gerochen, aber die Bluse war dort feucht gewesen. Im Augenblick war sie regelrecht durchnässt. Der Schweiß lief ihr an den Seiten hinunter und kitzelte sie. Da sie keinen BH trug, konnten die Tropfen ungehindert hinabfließen, bis sie knapp über dem Gürtel von der Bluse aufgesaugt wurden.
    Sie wünschte, sie hätte doch den BH angezogen. Nicht wegen des Schweißes, sondern weil es Teil ihres eigenen kleinen Dramas war, ihn zu Hause zu lassen, kindisch und kokett im Licht der wirklichen Welt, die brutal in ihr Leben gedrungen war.
    Außerdem hätte sie sich damit sicherer gefühlt. Zuvor hatte sie das lockere, freie Gefühl genossen. Doch seit sie die Sache mit Jessica gehört hatte, fühlte sie sich nicht mehr frei. Nur noch verletzlich.
    Das Läuten der Klingel erschreckte sie.
    Sie setzte sich aufrecht hin, als Mr. Kramer hereinkam. Er legte seine Aktentasche ab, nahm ein kleines braunes Buch heraus, trat vor den Tisch und setzte sich auf die Kante. Das Buch stützte er auf seinen Oberschenkeln ab. Es wurde still im Raum. Sein Gesicht war ernst, ein wenig verhärmt.
    »Ich bin sicher, ihr wisst alle bereits von der Tragödie, die sich letzte Nacht ereignet hat. Alle sprechen davon. Ich kann mir vorstellen, dass auch einige andere Lehrer schon mit euch darüber geredet haben.«
    Er presste die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf. Mit gerunzelter Stirn sah er zu dem leeren Pult.
    »Jessica war meine Schülerin. Sie war eure Klassenkameradin. Ihr Tod ist natürlich ein Schock für uns alle, und wir werden sie vermissen.«
    Er blickte auf. Seine Augen trafen kurz Lanes, dann wandte er den Kopf ab und sah von Gesicht zu Gesicht.
    »Ich kenne keinen Zauberspruch, um unseren Kummer zu lindern«, sagte er. »Aber ich bin ein Lehrer, und es gibt etwas, was wir daraus

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