Der Pfahl - Laymon, R: Pfahl - Stake
klebten zwar noch Pflaster, aber die Schwellungen waren zurückgegangen; ihre Lippen waren nicht mehr so dick; die Blutergüsse waren verblasst und hatten eine gelbgrüne Farbe angenommen; einige Krusten hatten sich gelöst und glänzende Flecken von rosafarbenem Fleisch hinterlassen.
Sie trat an die andere Seite von Lanes Pult. Benson strich über ihren Hintern, dann trottete er weiter den Gang entlang. Jessica setzte sich.
»Wie geht’s dir?«, fragte Lane.
Jessica grinste sie höhnisch an. »Was meinst du wohl?«
»War ja nur eine Frage. Entschuldigung.«
»Leck mich am Arsch«, sagte Jessica und wandte sich ab.
Huch, anscheinend hat Benson ihr von unserem Streit erzählt, dachte Lane. Warum hat es eine ganze Woche gedauert, bis sie ihre Wut rauslässt?
Diese Schlampe. Ich hätte mir gar nicht erst Mühe geben sollen, nett zu ihr zu sein.
»Lass mich in Ruhe, und steck deine Scheißnase nicht in meine Angelegenheiten«, setzte Jessica nach. »Sonst sorge ich dafür, dass Riley dich fertigmacht.«
»Ist ja gut. Mein Gott!«
Lane ließ sich tiefer in ihren Stuhl sinken und starrte nach vorne.
Sie stellte sich vor, Jessica zu sagen, dass sie sich verpissen solle, hielt es aber für besser, ruhig zu sein. Die kleinste Bemerkung könnte sie explodieren lassen. Und Jessica allein könnte sie wahrscheinlich schon übel zurichten. Was ihr behämmerter Freund mit ihr anstellen würde, wollte sie sich lieber nicht vorstellen.
Mr. Kramer kam herein.
Lane setzte sich schnell auf, zog die Beine an und schloss die Knie. Sie drückte ihren Rücken durch und legte die Hände aufs Pult.
Kramer zog sein Sakko aus. Er hängte es über die Stuhllehne und begann, seine Hemdsärmel hochzukrempeln, während er die übliche Position vor seinem Tisch einnahm. Seine Unterarme waren gebräunt und dicht mit schwarzen Haaren bedeckt. Er setzte sich auf die Kante.
Lane lächelte, als er sie ansah.
Er tat, als bemerkte er es nicht, nahm das Klassenbuch und ließ seinen Blick kurz über die Schüler wandern. »Mr. Billings gönnt sich offensichtlich wieder mal einen Urlaub«, sagte er und machte eine Notiz im Klassenbuch.
»Okay. Die Hausaufgaben in Rechtschreibung für diese Woche. Wer meldet sich freiwillig und schreibt sie an die Tafel?«
Lane hob die Hand. Doch Kramer entschied sich für Heidi.
Keine große Sache, sagte sich Lane. Aber trotzdem verspürte sie einen Anflug von Enttäuschung. Erst erwiderte er ihr Lächeln nicht, dann rief er eine andere an die Tafel. Ignorierte er sie?
Sei nicht albern, dachte sie. Ich bin nicht die einzige Schülerin hier.
Aber die Stunde schritt voran, und Kramer beachtete sie weiterhin nicht. Er schien sie kaum wahrzunehmen. Er rief andere Schüler dazu auf, aus dem Gedichtbuch vorzulesen, stellte ihnen Fragen über Rhythmus und Versmaß, bat sie um ihre Interpretationen.
Lane wurde immer unbehaglicher zumute.
Ist er etwa sauer auf mich? Was habe ich denn getan? Vielleicht glaubt er, ich hätte ihn in der Bibliothek ausgenutzt. Aber, verdammt, ich habe ihn doch nicht darum gebeten, das Buch für mich auszuleihen. Das war seine Idee.
Sie fragte sich langsam, ob er überhaupt noch wollte, dass sie nach der Stunde dablieb.
Los, sieh zu, dass du rauskommst.
Das würde er niemals sagen.
Lane stellte sich vor, wie sie gedemütigt allein in dem Raum saß. »Aber Sie haben mich doch gefragt, ob ich noch bleibe und Ihnen helfe.«
»Interessiert mich nicht. Geh jetzt.«
Vielleicht sollte ich gleich gehen, wenn es klingelt, dachte sie. Aber ich habe gesagt, dass ich bleibe. Ich kann nicht einfach hinausspazieren. Er würde mich für eine Spinnerin halten.
»Lane?«
Erschrocken blickte sie zu Kramer auf.
»Würdest du die nächste Strophe lesen?«
»Äh …« Sie hatte das Gefühl, innerlich zusammenzuschrumpfen. »Ich weiß leider nicht, wo wir sind.«
Hinter ihr kam vereinzeltes Gekicher auf.
Kramer schüttelte den Kopf. Er wirkte amüsiert.
»Du solltest versuchen, dem Text im Buch zu folgen.«
»Ja, Sir.« Sie senkte den Blick auf die Seite.
»Aaron, liest du bitte die nächste Strophe?«
Aaron begann zu lesen. Lane beugte sich über das Buch, verbarg mit einer Hand ihr Gesicht und überflog die Seite.
Wo zum Teufel sind wir?
Mist!
Sie konnte die Strophe nicht finden.
Du Dumpfbacke, du wolltest doch, dass er dich aufruft. Und das hat er auch getan.
Wenn ich jetzt sterben würde, wäre es eine echte Erleichterung.
Aaron kam zum Ende.
Eine Hand tauchte vor Lanes Gesicht
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