Der Pfahl - Laymon, R: Pfahl - Stake
zwölften Klasse waren einzeln auf kleinen, zu Blöcken angeordneten Fotos abgebildet. Die Jungen mit Sakko und Schlips, die Mädchen in dunklen Pullovern und alle mit Halskette.
Der erste Name in der oberen linken Ecke war Bonnie Saxon.
Larry betrachtete das Foto.
Er stöhnte.
Sie war wunderschön. Strahlend und bezaubernd. Glänzendes blondes Haar umrahmte das Gesicht und floss auf ihre Schultern. Die Augen schienen auf etwas Wunderbares direkt hinter der Kamera gerichtet zu sein. Ihr Blick war fröhlich und erwartungsvoll. Sie hatte eine kleine, niedliche Nase. Ihre hohen Wangen und die sanft geschwungenen Mundwinkel spiegelten ein Lächeln wider.
Das war Bonnie.
Sie ähnelte ein wenig Lane.
Der Leiche in der Kammer über Larrys Garage ähnelte sie hingegen kaum, aber ihr Haar und die Zähne und die Form ihres Gesichts überzeugten Larry, dass er richtiglag: Der Leichnam war Bonnie Saxon. Daran gab es keinen Zweifel.
Der scheußliche Kadaver war einmal das Mädchen auf dem Foto gewesen – schön und blühend vor Jugend.
Larry starrte auf das Foto.
Bonnie.
Er fühlte sich seltsam: aufgeregt wegen seiner Entdeckung, berückt von ihrer Schönheit und zugleich deprimiert. Als das Foto aufgenommen worden war, musste sie geglaubt haben, ein erfülltes, grandioses Leben läge vor ihr. Aber ihr blieben nur noch ein paar Monate, ehe jemand alles beendete, indem er einen Pfahl in ihre Brust rammte.
Das war kein Vampir.
Das war ein süßes, unschuldiges Kind.
Wahrscheinlich eine richtige Herzensbrecherin. Alle Jungen an der Schule mussten hinter ihr her gewesen sein.
Hatte einer von ihnen sie getötet? Ein eifersüchtiger Freund? Sie hatte sein Herz gebrochen, deshalb stieß er einen Pfahl durch das ihre? Könnte sein, dachte Larry. Aber andererseits sah es wegen des Pfahls und des Kreuzes unter der Treppe doch sehr danach aus, als hätte sie jemand für einen Vampir gehalten.
Larry betrachtete noch eine Weile das Bild, dann warf er einen Blick in den Index und blätterte zu Seite 124. Dort waren Gruppenfotos vom PR-Komitee, der Planungsgruppe und dem Kunstklub. Er hatte keine Lust, die Namenslisten zu durchforsten. Er wollte Bonnie auf den Bildern suchen, sie entdecken, das Gefühl des Wiedererkennens genießen.
Das Foto des PR-Komitees war überbelichtet. Die meisten Gesichter waren kaum mehr als weiße Flecken, die Konturen ausgewaschen und blass. Bonnie schien nicht unter ihnen zu sein, aber um sicherzugehen, warf Larry einen Blick auf die Namen.
Dann betrachtete er das Foto der Planungsgruppe. Er hatte damit gerechnet, sie darauf zu finden, auch wenn er sich nicht sicher war, was die Planungsgruppe eigentlich tat. Bonnie sah aus wie ein Mädchen, dass es übernehmen würde, die Sporthalle für einen Tanzabend zu dekorieren. Er studierte die Gesichter aller Mädchen auf dem Foto. Bonnie war nicht dabei.
Er entdeckte sie beim Kunstklub.
In der vorderen Reihe, die Zweite von links, zwischen zwei pummeligen Mädchen.
Bonnie sah fabelhaft aus. Sie stand aufrecht mit angelegten Armen und blickte erhobenen Hauptes in die Kamera. Es war keine Nahaufnahme wie das erste Foto, sondern zeigte sie von Kopf bis Fuß. Sie trug eine kurzärmelige weiße Bluse, einen gerade geschnittenen Rock, der ihr bis zu den Knien reichte, weiße Socken und weiße Turnschuhe.
Larry sah sich das Foto von nahem an. Er betrachtete ihr Gesicht. Obwohl das Bild aus größerer Entfernung aufgenommen worden war, waren ihre Gesichtszüge scharf und klar abgebildet. Der Kragen ihrer Bluse stand offen. Larry ließ den Blick über die Rundung ihres Halses und die sanften Kurven ihrer Schlüsselbeine gleiten. Weiter unten deutete ein flacher Hügel ihre Brüste an. Larry sah an ihren Armen hinab zu den Händen. Die Handflächen waren offen, die Finger leicht nach innen gegen den Stoff ihres Rocks gebogen. Sein Blick verweilte auf den wenig ausgeprägten Rundungen ihrer nackten Beine.
Einer ihrer weißen Strümpfe war ein wenig heruntergerutscht. Wenn sie das gemerkt hätte, hätte sie ihn vermutlich wieder hochgezogen. Larry konnte beinahe sehen, wie sie sich bückte und an dem Strumpf zupfte. Das Bild versetzte ihm einen kleinen Stich, als hätte er etwas Wichtiges verpasst, weil er nicht dabei gewesen war.
Unter dem Bild las er eine kurze Beschreibung der Aktivitäten des Kunstklubs. Er erfuhr, dass Bonnie die Schriftführerin gewesen war.
Sie muss clever gewesen sein, dachte er. Man ernennt niemanden zum Schriftführer, wenn er
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