Der pfeifende Mörder
richtig, Wilm.«
Leerdam drehte sich auf die andere Seite und schlief sofort wieder ein.
Schouwen wollte ihm noch etwas mitteilen, indem er erklärte: »Die Belohnung wurde auf zehntausend Gulden erhöht!«
Aber der Kommissär hörte das nicht mehr.
Am dritten Tag nach jenem bösen Rapport in Den Haag schnappte eine Streife der Leeuwardener Polizei bei Veenwouden einen Landstreicher, auf den die vage Beschreibung der ›Roten Vera‹ in etwa zutraf. Als Wichtigstes stimmte das eingetrocknete Blut am linken Rockärmel.
Leerdam erstattete zunächst nach oben keine Meldung, aus Sorge, wieder einen Fehlgriff getan zu haben. Er ließ sich den Landstreicher sofort vorführen und schickte als erstes die Jacke ins Polizeilaboratorium. Dann rief er eine aufgeschlossene Atmosphäre ins Leben, indem er den Mann fragte, ob er Hunger habe.
»Und was für einen!« lautete die Antwort.
»Durst?«
»Und was für einen! Aber nicht auf Schnaps, wenn Sie das meinen.«
Der Mann wurde also erst einmal richtig geatzt. Nachdem dies geschehen war, erhielt er aus Leerdams eigener Schatulle auch noch eine Zigarre spendiert; dann aber begann sozusagen der Ernst des Lebens.
»Wie heißen Sie?« fragte der Kommissär.
Der Landstreicher grinste.
»Soviel ich mich erinnere: Wilhelm Heyst.«
»Das steht in ihren Papieren, ja. Aber ist das auch ihr richtiger Name?«
»Wenn er in den Papieren steht, wird er's wohl sein.«
»Das ist nicht gesagt. Wie oft haben Sie die denn schon verloren?«
»Meine Papiere?«
»Ja – so daß sie Ihnen ersetzt werden mußten.«
»Schon ein paarmal. Genau kann ich es nicht sagen.«
»Sehen Sie, ich weiß doch, wie das bei euch zugeht. Ihr marschiert, wenn euch der Ausweis wieder einmal abhanden gekommen ist, vergnügt ins nächste Standesamt hinein und bittet um Ersatz. Kostenlos natürlich. Dabei bleibt dann oft gar nichts anderes übrig, als daß man sich auf eure Angaben verläßt. Ich hatte schon mit einem zu tun, der sich einen Sport daraus machte, sich auf diese Weise im Laufe weniger Jahre mit neun verschiedenen Namen auszustaffieren.«
»Und Sie? Wie steht's diesbezüglich bei Ihnen?«
»Ich bin der Wilhelm Heyst und war es immer, Herr Kommissär. Mein Lebenswandel ist so, daß er mir das erlaubt.«
»Wir werden das nachprüfen, mein Lieber, darauf können Sie sich verlassen.«
»Was ist denn eigentlich los? Warum dieses polizeiliche Interesse an meiner ganz und gar unbedeutenden Person?«
»Können Sie sich das nicht denken?«
»Beileibe nicht.«
»Wir haben Ihnen Ihre Jacke weggenommen …«
»Ja, ich weiß, und ich frage mich, warum?«
»Weil Blut an ihr ist.«
»Blut?«
Wenn der Kommissär damit gerechnet hatte, daß der Landstreicher beginnen würde, seine Ruhe zu verlieren, so war dies ein Irrtum. Der Mann zeigte nicht die geringste Nervosität.
»Meinen Sie den Fleck am linken Ärmel?« fragte er.
»Ja, den meine ich.«
»Dann habe ich mich also doch nicht getäuscht.«
»Inwiefern nicht?«
»Weil ich mir auch gedacht habe, daß das Blut sein könnte.«
»Von wem?«
Das kam wie ein Peitschenschlag aus Leerdams Mund. Der sogenannte Ernst des Lebens war also in vollem Gange, doch eine Wirkung, die sichtbar gewesen wäre, wurde nach wie vor nicht erzielt.
»Woher soll ich das wissen?« erwiderte achselzuckend der Mann, der sich Wilhelm Heyst nannte und sich als solcher auch auswies.
»Lautet Ihre Antwort auch so«, stieß Leerdam nach, »wenn wir feststellen, daß das Menschenblut ist?«
»Menschenblut? Das glaube ich nicht.«
»Darf ich fragen, woran Sie glauben?« meinte der Kommissär mit jener bekannten Höflichkeit, welche die krasseste Form von Ironie ist.
»Am ehesten halte ich das für Hühnerblut.«
»Warum ausgerechnet Hühnerblut?«
»Weil ich denke, daß da ein gestohlenes Huhn etwas unsachgemäß geschlachtet wurde.«
Leerdams Miene war so sehr von Unsicherheit durchtränkt, daß sich Heyst verpflichtet fühlte, zu ergänzen: »Hühner sind die Objekte, die in unseren Kreisen am liebsten gestohlen werden, Herr Kommissär.«
In der Sprache dieses Landstreichers fanden sich immer wieder Ausdrücke und Formulierungen, die darauf hinwiesen, daß er schon bessere Tage gesehen hatte. Ein jäher Verdacht streifte den Kommissär. Sprach er etwa mit einem abgesackten Akademiker oder etwas Ähnlichem? Wenn ja, wäre das nicht der erste Fall dieser Art in der Welt der Landstreicher oder Penner gewesen.
»Was haben Sie früher gemacht, Herr Heyst?«
»Wann
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