Der Pfeil der Rache
trauerten so sehr, dass wir von unserer Umgebung nicht viel wahrnahmen.« Ungeachtet dieser Worte blieb Hughs Tonfall emotionslos.
»Michael Calfhill ist damals seit über einem Jahr Euer Hauslehrer gewesen. Wart Ihr ihm zugetan?«
»So würde ich es nicht ausdrücken, aber ich mochte und achtete ihn.«
»Michael wollte Master Hobbey daran hindern, die Vormundschaft für Euch zu übernehmen. Habt Ihr das gewusst?«
»Wir wussten nur, dass die beiden eine Auseinandersetzung hatten. Doch es war uns gleichgültig, wer uns zu sich nähme.«
»Ihr kanntet die Familie Hobbey doch kaum.«
Er zuckte die Schultern. »Wir wussten, dass sie mit Vater befreundet waren. Wie gesagt, es war uns gleich.«
»War es euch ebenso gleich, ob Michael Calfhill euch nach Hampshire folgen würde?«
Er überlegte kurz. »Master Calfhill meinte es gut mit uns. Doch Emma und ich hatten damals nur Sinn füreinander.« Seine Stimme drohte zu versagen, und er presste die Hände aufeinander. Es tat mir leid, ihn mit meinen Fragen zu behelligen, obschon er sein Bestes tat, sich den Schmerz nicht anmerken zu lassen. Er sagte, sehr still: »Emma und ich vermochten uns mit Blicken zu verständigen, ganz ohne Worte, als hätten wir eine eigene Welt.«
»Wir beunruhigen Master Curteys«, warf Dyrick ein. »Vielleicht sollten wir später –«
»Nein«, fiel Hugh ihm aufbrausend ins Wort. »Ich möchte die Angelegenheit hinter mich bringen, ein für alle Mal.«
Ich nickte. »Dann frage ich Euch jetzt, Hugh: Sind Master und Mistress Hobbey stets gut zu Euch gewesen?«
»Sie ernährten und kleideten uns, boten uns ein Zuhause und Bildung. Doch unsere Eltern kann uns niemand ersetzen. Der Verlust war zu groß. Ich wünschte, die Menschen könnten das verstehen.«
»Es ist in der Tat nur zu verständlich«, sagte Dyrick. Diese Zeugenaussage kam ihm entgegen.
»Noch eine letzte Frage in Bezug auf Eure arme Schwester«, sagte ich ruhig. »Michael Calfhill meinte, Ihr wäret mit David in Streit geraten, weil er sich ihr gegenüber eine unziemliche Bemerkung erlaubt hatte.«
Hugh rang sich ein freudloses Lächeln ab. »Davids Ausdrucksweise ist stets ungebührlich. Ihr seid ihm ja begegnet. Einmal machte er Emma einen unschicklichen Vorschlag. Ich versetzte ihm eine Maulschelle, und er tat es nie wieder.«
»War jemals die Rede davon, dass Emma David heiraten sollte?«
Ein wildes Funkeln trat in Hughs Augen und erlosch sogleich. »Dergleichen wäre nie geschehen. Emma konnte ihn nicht ausstehen.«
»Und doch seid Ihr jetzt sein Freund?«
Er zuckte die Schultern. »Wir gehen gemeinsam auf die Beizjagd und üben uns im Bogenschießen.«
»Michael Calfhills Mutter sagte, es sei Michael gewesen, der Euch Geschwister lehrte, den Bogen zu spannen.«
»Das ist wahr. Ich bin ihm dankbar dafür.«
»Und doch setzte Master Hobbey ihn vor die Tür. Er habe befürchtet, sagte er, dass das Verhältnis zwischen ihm und Euch eine unziemliche Richtung nehmen könnte.«
Hugh blickte mich an und schüttelte dann bedächtig den Kopf. »Es gab nichts Unziemliches.«
»Master Hobbey hatte gewiss seine Gründe, warum er ihn entließ«, gab Dyrick in scharfem Tone zu bedenken.
»Vielleicht glaubte Master Hobbey, etwas Anstößiges bemerkt zu haben. Ich jedenfalls kann dergleichen nicht bestätigen.« Hugh schaute Dyrick herausfordernd an.
»Vielleicht wollt Ihr Euch nicht erinnern«, schlug Dyrick vor.
»Es gibt nichts, woran ich mich erinnern könnte.«
»Das scheint mir doch recht deutlich zu sein, Bruder«, sagte ich. »Nun, Hugh, nachdem Michael gegangen war, hattet Ihr andere Lehrer. Es herrschte plötzlich ein reges Kommen und Gehen.«
Er zuckte die Schultern. »Der eine hat geheiratet, ein anderer beschloss, auf Reisen zu gehen. Und David machte ihnen das Leben nicht gerade leicht.«
»Und heuer, zu Ostern, tauchte dann Michael wieder auf, trat im Garten an Euch heran?«
Hugh schwieg eine Weile, den Blick gesenkt. »Ich begreife es nicht«, sagte er schließlich. »Er tauchte auf wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Er hatte sich offenbar zwischen den Grabsteinen auf dem alten Friedhof versteckt und David und mich beim Bogenschießen beobachtet. Er zerrte mich am Arm und verlangte, ich solle mit ihm fortgehen, ich gehörte nicht hierher.«
»Michael hat angeblich behauptet, dass er Euch mehr liebe als sonst jemanden auf der Welt«, sagte ich leise.
Der Knabe blickte auf, wieder lag Herausforderung in seinem Blick. »Daran erinnere ich mich
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