Der Pfeil der Rache
dieses kleine Mädchen aus einer der Hütten herausgerannt kam und dabei schrie wie am Spieß. Ungefähr drei Jahre alt war die Kleine. Sie hatten sie zurückgelassen. Nun ja, einige Soldaten kriegen ein weiches Herz.« Saddler zuckte die Schultern. »Wir haben sie also nach Calais mitgenommen. Die Kompanie hat sich um sie gekümmert, die Rationen mit ihr geteilt. Sie war ganz glücklich, wir haben ihr ein Kleidchen in den Farben der Kompanie genäht, dazu ein Hütchen mit dem Sankt-Georgs-Kreuz darauf.« Saddler nahm einen Schluck Bier und kicherte. »Ihr hättet sie sehen sollen, wie sie zwischen den Baracken herumtollte und dabei das kleine hölzerne Schwert schwang, das wir für sie geschnitzt hatten. Wie gesagt, sie war unser Maskottchen.«
Leacon starrte mit trostloser Miene auf Saddler. Ich bezwang meine Abscheu gegen den Mann. Er fuhr fort: »Sie hieß Josephine. Wir nannten sie Jojo. Sie schnappte von uns ein paar Brocken Englisch auf. Nun ja, nach einer Weile wurden wir wieder in die Heimat beordert und zogen mit eingeklemmtem Schwanz ab. Wir wollten Jojo zurücklassen, jemanden in Calais finden, der sie zu sich nahm. Aber William Pile, Euer Coldiron, der wollte Jojo behalten. Er wollte seinen Abschied nehmen und sie großziehen, damit sie ihm später den Haushalt führe. Und noch mehr, falls sie hübsch wäre.« Saddler glotzte uns lüstern an. Tom Llewellyn sah erschrocken drein. Leacon starrte auf Saddler, als wäre er der Teufel.
»Nun, William hat tatsächlich seinen Abschied genommen, aber nicht in der üblichen Weise. Kaum waren wir wieder in England, stahl er die Geldschatulle der Kompanie und verschwand. Josephine hat er mitgenommen. Wir wurden nach Berwick geschickt und mussten uns mit äußerst knapp bemessenen Rationen zufriedengeben, da die Offiziere keineswegs die Absicht hatten, in die eigenen Taschen zu greifen. Danach habe ich nie wieder etwas von William gehört, bis heute. Er wäre am Galgen gelandet, wenn man ihn gefasst hätte.« Saddler grinste und verschränkte die Arme. »So war das. Ist Josephine eigentlich hübsch geworden?«
»Durchaus«, antwortete ich kühl.
Saddler runzelte die Stirn. »Ich erinnere mich noch genau an jene drei Monate an der schottischen Grenze, in denen man uns die Rationen gekürzt hatte. Wenn Ihr William Pile an den Galgen bringt, tut Ihr mir damit einen Gefallen.«
Leacon erhob sich, legte Helm und Harnisch an. Llewellyn tat es ihm gleich. »Danke, Master Saddler«, sagte Leacon steif. »Master Shardlake und ich haben noch eine Verabredung, dann muss ich zurück ins Lager. Wir sind Euch dankbar für die Hilfe.«
Saddler hob seinen Becher und lächelte mir zu: »Auf Wiedersehen, Sir. Beste Grüße an Madame Josephine.«
* * *
Die Straße draußen wirkte belebter und lauter denn je.
»Ich begleite Euch zum Godshouse«, sagte Leacon. »Ihr braucht vielleicht meine Autorität, um eingelassen zu werden. Ich muss noch nicht gleich ins Lager, suchte nur einen Vorwand, um Saddler loszuwerden.«
»Ach so.«
»Was haltet Ihr von seiner Geschichte?«
»Sie passt zu dem, was ich über Coldiron weiß.« Ich lächelte grimmig. »Jetzt habe ich ein Druckmittel gegen ihn. Ich will ihn vor die Tür setzen und Josephine behalten, wenn sie bleiben möchte.«
»Wie behandelt er sie denn?«
»Schlecht. Aber sie gehorcht ihm aufs Wort. Sie glaubt, sie sei seine Tochter.«
Leacon schien skeptisch. »Dann will sie sich gewiss nicht von ihm trennen.«
Ich lächelte gequält. »Ihr meint also, ich mache alles nur noch schlimmer, wenn ich mich einmische?«
»Auf jeden Fall«, stimmte Barak mir mit Nachdruck zu. Dann kratzte er sich wild am Kopf. »Ich glaube, ich habe Läuse.«
Ich schüttelte mich. »Und ich spüre Flöhe. In dieser Schenke wimmelt’s davon.«
Leacon lächelte. »Ihr solltet Euch die Haare schneiden lassen, Jack.«
»Jeder im Lager hat Läuse«, fügte Llewellyn düster hinzu. »Und ich hab meinen Kamm verloren.«
»Da bist du nicht der Einzige«, sagte Leacon. »Ich wünschte, ihr Burschen würdet besser achtgeben auf eure Siebensachen.«
Barak blickte über das stinkende Trockendock des Camber. Im Hintergrund sah man die Masten der Schiffe aufragen, die im Solent vertäut lagen. »Die fauligen Säfte an diesem Ort erzeugen über kurz oder lang Seuchen.«
»Tja«, sagte Leacon mit fester Stimme, »hier müssen wir ausharren, bis die Franzosen kommen.« Er wandte sich an Llewellyn. »Geh ins Lager zurück und sage Sir Franklin, dass ich bald
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