Der Pfeil der Rache
sämtliche altgedienten Soldaten befragt, ob sie ihn kennen. Ich erkannte ihn an der Beschreibung. Groß und dürr, mittlerweile um die sechzig, mit nur einem Auge und einer Narbe im Gesicht.«
»Das ist Coldiron.«
»Woher kennt Ihr ihn, Sir?«, fragte Saddler neugierig.
»Ich habe das Pech, ihn zum Steward zu haben.«
Saddler grinste, wobei verfärbte Zahnstumpen zum Vorschein kamen. »Dann passt auf Euer Silber auf, Sir. Und wenn Ihr nach Hause kommt, so fragt ihn, was er mit dem Geld unserer Truppe getan hat, nachdem er desertierte.«
»Ein Fahnenflüchtiger? Und mir machte er weis, er sei in Flodden dabei gewesen und habe den Schottenkönig umgebracht.«
Saddler lachte. »Das habt Ihr ihm geglaubt?«, fragte er mit Spott in der Stimme.
»Keine Sekunde. Ich hätte ihn auch längst vor die Tür gesetzt, den faulen, verlogenen Saufbold, aber mich dauert seine Tochter.«
Saddlers Augen wurden schmal. »Eine Tochter? Wie alt ist sie denn?«
»Mitte zwanzig, würde ich sagen. Recht groß, blond. Ihr Name ist Josephine.«
Saddler lachte. »Das ist sie! Das ist unser Maskottchen.«
»Euer was?«
Saddler lehnte sich zurück und verschränkte die Arme über dem flachen Bauch. »Mit William Pile verhält es sich so: Er stammt aus Norfolk, genau wie ich. Wir wurden beide in die Armee geholt, um gegen die Schotten zu ziehen, das war anno 1513. Damals waren wir in den Zwanzigern. William war in Flodden, das stimmt, aber im Gegensatz zu mir stand er nicht in diesem Moor, als die schottischen Pikeniere den Hügel herab auf uns zugerannt kamen. William Piles Vater war Landvogt und verschaffte ihm eine Beschäftigung im Proviantlager. So blieb er also im Hintergrund an jenem Tag, wie immer. Er und den Schottenkönig umbringen, von wegen!« Er lächelte kühl. »Und das ist erst der Anfang. Nach dem Krieg anno 1513, der uns nur Dreck eingebracht hat, wie jeder Krieg, den dieser König angezettelt hat, sind wir beide in der Armee geblieben. Manchmal waren wir mit der Garnison in Berwick, manchmal in Calais. Langweilige Zeiten meistens, kaum irgendein Einsatz. William kam’s zupass. Er hat seine Tage gern mit Saufen und Würfeln zugebracht.«
»Ihr habt Coldiron – Pile also gut gekannt?«
»Gewiss. Ich konnte ihn zwar nicht leiden, den alten Drecksack, aber ich staunte immer wieder, wie er sich durchs Leben schlug. Wir hatten jahrelang zusammen gedient, ich wurde zum Feldwebel befördert, William jedoch blieb Schreiber. Sein Ehrgeiz beschränkte sich darauf, möglichst viel von den Rationen der Männer abzusahnen und beim Kartenspiel zu betrügen. Er hatte keine Aussicht auf eine Frau, nicht mit diesem Gesicht. Lasst mich raten, er hat gewiss behauptet, er habe sich die hässliche Wunde bei Flodden zugezogen.«
»Genau.«
Saddler lachte höhnisch. »In Wirklichkeit geschah Folgendes: Eines Abends, in der Burg Caernarfon, hat William Karten gespielt. Wir hatten einen großen Burschen aus Devon bei uns, der sechs Fuß maß und immer üble Laune hatte, wenn er betrunken war, was sie damals allesamt waren, sonst wäre William vorsichtiger gewesen beim Betrügen. Als der Kerl aus Devon bemerkte, dass man ihn um einen Sovereign gebracht hatte, stand er auf, zückte sein Schwert und zog es William quer übers Gesicht.« Wieder lachte er. »Potzdonnerwetter, Ihr hättet das Blut sehen sollen! Sie glaubten, er würde sterben, aber so ein zäher Bursche wie William, den bringt so leicht nichts um. Er hat sich erholt und zog zwei Jahre später mit uns in die Schlacht nach Frankreich.«
»An diesen Krieg erinnere ich mich. Damals war ich noch Student.«
»Der 23er Feldzug war erbärmlich, die Soldaten taten kaum mehr, als rings um Calais die Dörfer zu plündern und niederzubrennen.« Er gluckste in sich hinein. »Die Weiber rannten kreischend über die schlammigen Felder davon, die Röcke um ihre großen französischen Ärsche gerafft.« Saddler blickte auf, genoss sichtlich meine Abscheu.
»Da war dieses eine Dorf, alle Leute rannten wie die Hasen, als wir die Straße entlangkamen. Wir drangen in die Häuser ein, um uns zu holen, was nicht niet- und nagelfest war, bevor wir Feuer legten. Schaut mich nicht so an, Meister, solche Beutezüge sind der einzige Vorteil, den die Soldaten aus dem Kriege ziehen. Die Franzosen holen sich, was sie kriegen können, wenn sie hier landen. Wie dem auch sei, in diesen Bruchbuden gab es bis auf ein paar Schweine und Hühner nicht viel zu holen. Wir waren im Begriff, Feuer zu legen, als
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