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Der Pfeil der Rache

Der Pfeil der Rache

Titel: Der Pfeil der Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.J. Sansom
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Moment lang glaubte ich, er werde weinen, doch da kehrte dieser leere Blick in seine Augen zurück, den ich schon kannte. Wären Michael Calfhill und Pfarrer Broughton doch nur über Davids Zustand informiert gewesen, bevor die Vormundschaft Master Hobbey zuerkannt worden war, dachte ich. Hugh seufzte, und einem jähen Juckreiz folgend, kratzte er sich die Brust.
    »Hoffentlich habt Ihr keine Flöhe«, sagte ich. »Ich habe mir in Portsmouth welche eingefangen, dachte aber, ich sei sie losgeworden.«
    »Nein, das sind nur meine Narben, die mich jucken.« Er kratzte erneut, aber behutsam.
    »Tragt Ihr Emmas Kreuz?«, fragte ich sanft.
    Er blickte auf. »Nein, Master Shardlake, ich bewahre es in meiner Schublade auf. Es anzusehen fällt mir schwer.«
    »Das ist traurig.«
    »Vielleicht hättet Ihr es nicht hierherbringen sollen. Nein, ich trage immer noch das Herzkreuz. Ihr habt ganz recht, ich mag die Hobbeys nicht. Ihr seid gut darin, die Menschen zum Sprechen zu bringen, Sir. Sei’s drum, wenn ich nicht in den Krieg ziehen kann, bleibe ich hier. Das ist mein Wunsch, Ihr könnt es dem Gericht mitteilen.«
    »Warum nur, Hugh?«
    Er spreizte die langen Finger und stieß erneut ein bitteres Lachen aus. »Wohin sollte ich denn sonst gehen? Ich bin das Leben hier gewohnt, und ich will keinen Prozess gegen Master Hobbey. In drei Jahren kann ich mein Eigentum übernehmen und gehen.«
    »Und was wollt Ihr dann tun? Euch als Soldat verdingen?«
    »Vielleicht.«
    »Wenn ich Euch helfen kann, Hugh, dann findet Ihr mich am Lincoln’s Inn.«
    Wieder lächelte er traurig. »Ich danke Euch, Master Shardlake.« Er sah mich eindringlich an. »In drei Jahren – ja, dann brauche ich vielleicht einen Freund in der Welt.«
    * * *
    In einem der Bäume, welche die Lichtung säumten, flatterten Vögel auf. Sie brachten mich wieder zu mir. Ich erhob mich und spazierte durch den Wald zurück zu einer großen Lichtung; dort waren etwa dreißig Leute versammelt. Hobbey, der Jägersmann Avery, Fulstowe und Sir Luke Corembeck sowie zwei weitere gutgekleidete Männer mittleren Alters beugten sich über eine Landkarte, die auf einem abgesägten Baumstrunk lag. Große weiße Tücher waren auf das Gras gebreitet und mit Kissen bestückt worden. Dort saß Lady Corembeck mit zwei Damen in mittleren Jahren. Alle drei waren vornehm gekleidet, die Gewänder der Damen aus Seide und Satin, ihre Haare mit modischen Hauben bedeckt, die Gesichter und Hälse mit Bleiweiß gepudert. Diener reichten Gläser mit Wein herum, dazu auf Tellern Brot und Käse. Etwas abseits standen etwa zwanzig Männer aus dem Dorfe Hoyland, die bei der Jagd helfen sollten, mit einem halben Dutzend Pferden und der Hundemeute. Barak unterhielt sich mit ihnen. Ich freute mich, Oddleg unter den Pferden zu sehen.
    Hugh, David und zwei weitere Burschen, offenbar die Söhne der Gäste, standen mit Dyrick im Gespräch vertieft. Die Jungen trugen Kleider in unterschiedlichen Grüntönen, die Dorfleute ebenso, die Männer bei Hobbey geschlitzte Wämser in blassen Tönen, die üblichen leuchtenden Farben der vornehmen Kleider fehlten. Die vier Jungen hatten ihre Bögen geschultert und Köcher an den Gürteln hängen. Die Pfeile hatten eine Befiederung aus Schwanen- und Pfauenfedern, Standessymbole, und allesamt trugen sie Handschuhe und Pulsschützer aus Horn oder geprägtem Leder. David schien von seinem Anfall am Vortag gänzlich genesen. Dennoch musterte er die beiden jungen Gäste mit besorgten Blicken, weil er sich vermutlich fragte, inwieweit sie über ihn Bescheid wussten.
    Das Jagdfrühstück war der Auftakt; die Damen würden sitzen bleiben, während das Männervolk sich auf die Jagd begab und hoffentlich den Hirsch erlegte. Zu diesem Zweck stand ein großer Handkarren bereit, auf dem das Tier zu dem Tuch transportiert werden sollte, auf welchem Messer und Krampen ausgelegt waren, damit man die Beute im Beisein aller zerlegen konnte. Manchmal begleiteten die Damen ihre Männer auf die Jagd, doch heute nicht. Ich erinnerte mich, dass die Königin mir erzählt hatte, die kleine Elizabeth dürfe bereits an der Jagd teilnehmen.
    Die Damen unterhielten sich mit Abigail, gelassen zwar, aber auch unbehaglich, wie ich bemerkte. Sie wussten wahrscheinlich von dem gestrigen Zwischenfall vor der Kirche. Abigail bemühte sich, Konversation zu machen, aber ihre Stimme klang schrill, und sie nestelte unentwegt an ihrem Mundtuch herum. »Es ist die erste Jagd für meinen Sohn«, sagte sie.

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