Der Pfeil der Rache
gibt es einen Weg, diese Sache zu bereinigen, ganz unter uns, ohne dass Philip bei der Anhörung gedemütigt wird.«
»Und woran denkt Ihr?«
»Ich weiß es nicht. Wenn Ihr Euren Einfluss geltend machen könntet …«
»Ich will es mir überlegen«, antwortete ich tonlos.
»Wenn Ihr mir noch etwas zu sagen habt, so schickt mir eine Nachricht nach Carlen Hall.«
»Und ich weile derzeit auf dem Gut Hoyland, acht Meilen nördlich von Portsmouth gelegen.«
Ich sah sie an und wunderte mich, wie wenig ich sie doch bedauerte, sosehr sie auch um ihren Sohn bangen mochte. Ich würde die Wahrheit über Ellens Schicksal noch aus ihr herauspressen.
Sie lächelte verzweifelt. »Es könnte durchaus sein, dass mein Sohn noch vor der Anhörung für König und Vaterland sein Leben lassen muss. Und er würde gewiss lieber ehrenvoll sterben, als weiterzuleben und mit anzusehen, wie die Geschichte an die Öffentlichkeit kommt.« Ihre Lippen zitterten, und Tränen stiegen ihr in die Augen. »Er stirbt für den König und lässt mich mutterseelenallein in dieser Welt zurück.«
kapitel fünfunddreißig
E ine Stunde später waren wir in südlicher Richtung nach Hoyland unterwegs. Mistress West hatte mir viel Stoff zum Nachdenken gegeben. Baraks Reaktion, nachdem ich ihm ihre Version der Ereignisse erzählt hatte, war spontan gewesen: »Ich glaube ihr kein Wort. West hat seiner Mutter diese Geschichte vorgelogen, um sie zu beruhigen. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass sein Freund und er Ellen überfallen haben und sein Freund daraufhin das Weite suchte.«
»Und der Brand, die Morde in der Eisenhütte?«
»Vielleicht haben ja Ellens Vater und Gratwyck die beiden überrascht, als sie sich an Ellen vergingen. Vielleicht hatte sie West abgewiesen und ihn damit in Rage gebracht. Es kam zum Handgemenge, und Gratwyck und Master Fettiplace wurden dabei getötet. Diesen Brief hat es nie gegeben.« Er sah mich an. »Es würde Ellen entlasten.«
»Tja, West ist auf jeden Fall der Schlüssel zu allem, ob seine Geschichte nun stimmt oder nicht. Und seine Mutter hat Priddis bestochen, damit das Urteil auf ›Tod durch Unfall‹ laute. Vielleicht ist sie es, die Ellens Gebühren im Bedlam bezahlt.«
»Wenn dem so wäre, müsste Philip West längst wissen, wo sie ist.«
Ich nickte bedächtig. »Und sollte er wirklich für alles die Schuld tragen, was damals geschah, mag ihn das schlechte Gewissen auf See getrieben haben. Und er sucht geradezu die Gefahr und den Tod.«
»Er dürfte sie schon bald finden.«
»Nur, wer war der Freund, der damals bei ihm war und dann verschwand?« Ich runzelte die Stirn. »Falls diese Geschichte sich als Lüge erwiese, wäre sie gefährlich. Der König wäre außer sich gewesen, hätte er erfahren, dass ein Neuling bei Hofe dergleichen in Umlauf setzte. Und der Zeitpunkt klingt richtig – 1526, als der König nach Anne Boleyn gierte, aber noch niemand ahnte, dass er um ihre Hand anhalten wollte. Es gibt nur einen Weg, die Wahrheit herauszufinden«, sagte ich bestimmt. »Ich reite noch einmal nach Portsmouth und stelle West zur Rede.«
Barak starrte mich an. »Das könnt Ihr nicht tun! Es ist der fünfzehnte Juli, der König soll heute dort eintreffen. Ganz zu schweigen von der französischen Flotte, die Kurs auf England nimmt. Potzdonnerwetter, Ihr könnt der Sache doch auf den Grund gehen, sobald wir wieder in London sind.«
Ich hielt seinem Blick stand. »Bis dahin ist West vielleicht nicht mehr am Leben.«
»Und ich dachte schon, Ihr wäret allmählich vernünftig geworden«, versetzte Barak. »Ihr könnt jetzt nicht mehr nach Portsmouth reiten.«
»Es ist aber die einzige Möglichkeit, die Wahrheit zu finden. Zudem ist mir ein Gedanke gekommen, der mir gar nicht gefällt. Weißt du, wer Wests Freund gewesen sein könnte?«
»Wer?«
»Master Warner ist seit der Zeit Katharinas von Aragon Berater bei Hofe, und er ist Anwalt. Er hat fünf Königinnenwechsel überlebt. Und er hat ungefähr das richtige Alter.«
»Ich dachte, er wäre Euer Freund.«
»Ich bin schon des Öfteren von Freunden enttäuscht worden.«
»Die Königin vertraut ihm.«
»O ja. Und sie verfügt über eine gute Menschenkenntnis. Es gibt jedoch nicht viele Juristen im Haushalt der Königin, die in seinem Alter sind. Außerdem sagte er einmal, dass die gegenwärtige Königin mit ihren Untergebenen ebenso freundlich verfahre wie Katharina von Aragon.«
Barak überlegte. »Edward Priddis dürfte um diese Zeit ein junger Anwalt in
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