Der Pfeil der Rache
bebte leicht. »Er hatte einen Freund bei Hofe, einen jungen Rechtsanwalt, der sich ihm angeschlossen hatte, der Reise und der Gesellschaft wegen. Dieser Freund würde anschließend nach Hampshire reiten.«
Ich spürte einen Kloß im Hals. Demnach waren sie zu zweit gewesen.
Sie waren so stark. Ich konnte mich nicht bewegen
! Ich hatte Mühe, ruhig zu bleiben. »Wer war jener Freund?«, fragte ich.
Mistress West blickte mich an, und ich las ein verzweifeltes Flehen in ihren Augen. »Das ist der Haken, Sir. Ich weiß es nicht.«
»Aber wenn Philip bei Euch blieb –«
»Lasst mich erzählen, wie es dazu kam. Philips Brief erreichte uns über einen Eilboten aus Petworth; er wolle tags darauf zu uns kommen, schrieb er. Weil er anschließend weitermüsse, um die Nachricht des Königs zu überbringen – damals wussten wir nicht, für wen sie bestimmt war –, könne er nur eine Nacht bei uns bleiben. Er habe die Absicht, am Nachmittag geradewegs zu Master Fettiplace zu reiten, um mit ihm zu sprechen. So er sein Jawort gäbe, wolle er, Philip, noch am selben Tag Ellen einen Antrag machen.« Das war nicht ganz, was Philip mir erzählt hatte, dachte ich. Seiner Aussage nach hatte er mit Master Fettiplace sprechen und Ellen zu einem späteren Zeitpunkt fragen wollen.
Seine Mutter fuhr fort: »Wenn Ellen seinen Antrag annähme, wollte er ihren Vater und sie anschließend zu uns bringen. Ein Freund werde ihn begleiten, schrieb er. Also bereiteten wir alles für seine Ankunft vor. Der neunte August, ein Datum, an das ich mich Jahr für Jahr erinnere.«
»Der Tag des Brandes.«
Sie musterte mich ausgiebig und sank dann schwer auf einen Schemel nieder. Allmählich wirkte sie erschöpft. »Mein seliger Mann und ich«, fuhr sie fort, »wir warteten zu Hause, hatten den besten Wein heraufholen lassen in Erwartung eines Festes, obwohl wir in Wirklichkeit hofften, dass Philip allein käme, weil Ellen Fettiplace ihn abgewiesen hatte. Doch die Stunden vergingen, es wurde dunkel, und niemand kam. Wir warteten und warteten. Dann, gegen Mitternacht, kam Philip. Mein armer Junge, er war so glücklich gewesen bei Hofe, so voller Lebenskraft und Tatendrang. All dies war fort, er wirkte gebrochen, trostlos und –« Mistress West stockte – »und verängstigt.«
Dann hatte ihm Ellen vermutlich einen Korb gegeben. »Hat sie ihn abgewiesen?«, fragte ich.
Mistress West schüttelte den Kopf. »Nein. Philip hatte Ellen gar nicht gesehen, wusste nichts von dem Brand. Ein Zwischenfall hatte ihn bis ins Mark erschüttert. Der besagte Freund hatte ihn betrogen, Master Shardlake. Einige Meilen vor Rolfswood waren die beiden Reiter in einem Wirtshaus eingekehrt, um sich zu stärken, und in Streit geraten. Philip kann sehr aufbrausend sein, wenn man ihn reizt. Es war eine Lappalie, ein törichter Streit um ein paar Pferde, dennoch endeten die beiden raufend auf dem Fußboden.«
»Dergleichen kommt bei jungen Männern vor.«
»Nach dem Kampf hatte Philips Freund ihm böse Worte an den Kopf geworfen und gesagt, er werde nach Petworth zurückreiten. Später erst dämmerte es Philip, dass der andere den Streit mit voller Absicht provoziert haben könnte. Denn kurze Zeit später, auf dem Weg hierher, vermisste er den Brief des Königs. Er hatte ihn am Leib getragen. Und sein Freund, müsst Ihr wissen, war im Gefolge der Königin. Sie schien irgendwie von dem Brief erfahren zu haben und benutzte jenen Rechtsanwalt als Spion.«
»Philips Freund stahl ihm also einen Brief des Königs an Anne Boleyn?«, fragte ich ungläubig. »Um ihn Katharina von Aragon auszuhändigen? Damit setzte er sein Leben aufs Spiel.«
»Oh, die Königin hätte ihn beschützt. Sie hielt ihren Untergebenen die Treue.« Das hatte schon einmal jemand zu mir gesagt, nämlich Warner, der Berater der jetzigen Königin. Er dürfte 1526, als junger Anwalt, im Dienste der damaligen Königin gestanden haben. Mein Herz fing heftig an zu klopfen.
»Philip glaubte zunächst, er hätte den Brief während der Rauferei verloren. Eilig ritt er zu der besagten Schenke zurück, fand ihn aber nicht. So musste er an den Hof zurückkehren und dem König gestehen, er habe ihn verloren.«
»Aber er wurde doch bestohlen –«
Mistress West schüttelte unwirsch den Kopf. »Mein Mann riet ihm, er solle behaupten, ihn verloren zu haben. Versteht Ihr? Es sei besser, meinte er, der König glaube den Brief verloren als in den Händen der Königin. Mein Mann bat Philip außerdem, uns den Namen
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