Der Pfeil der Rache
»Habt Ihr denn irgendeine Vorstellung, wer der Schuldige sein könnte, Ursula?«
»Nein, Sir. Es war eine böse Tat, trotz des wunderlichen Gebarens dieser Frau. Gott möge ihr vergeben.«
»Amen. Ich werde nicht hierher zurückkommen, aber falls Euch etwas zu Ohren kommt, das ich wissen sollte, sagt es Mistress Ettis, seid so gut. Sie weiß, wie sie mich erreichen kann.«
»Gewiss, Sir. Es sei denn, die Franzosen kommen.« Sie knickste, aber es war ihr anzusehen, dass mein Misserfolg sie enttäuschte.
Draußen war ein weiterer heißer, windstiller Tag angebrochen. Wir luden unsere Satteltaschen auf Oddleg und das Pferd, auf dem Barak hierhergeritten war. In drei oder vier Tagen, dachte ich, bringen wir die Tiere nach Kingston zurück in ihren Stall.
»Was werdet Ihr wegen der Befragung in Rolfswood unternehmen?«, fragte Barak, nachdem wir aufgesessen waren.
»Sobald wir wieder in London sind, schreibe ich an den Coroner in Sussex und sorge dafür, dass Priddis ins Verhör genommen wird. Wenn es nötig sein sollte, werde ich die Königin bitten, ihren Einfluss geltend zu machen.«
»Dies alles wird viel Zeit verschlingen.«
»Ich weiß.«
»Seht dort«, sagte er leise. Ich folgte seinem Blick und sah David und Hugh auf den Übungsplatz zugehen, die Bögen geschultert. Hugh wandte sich um und bemerkte uns. Er legte den Bogen nieder und kam mit kalter Miene auf mich zu. David blieb stehen und starrte uns nur an.
»Ihr reitet fort?«, sagte Hugh unvermittelt.
»Ja. Und Ihr werdet in Kürze erfahren, dass die Klage Euch betreffend zurückgezogen wurde.«
»Ich wünschte, sie wäre niemals erhoben worden.«
Ich streckte ihm die Hand entgegen. »Lebt wohl, Hugh.«
Der Jüngling musterte mich weiterhin kalt.
»Wirst du Wicht meinem Herrn gefälligst die Hand geben?«, fuhr Barak auf. »Er wollte dir helfen!«
Hugh hielt meinem Blick stand. »Indem er mich dazu brachte, in aller Öffentlichkeit zuzugeben, was ich für Mistress Hobbey empfand? Fürwahr eine merkwürdige Hilfe! Und jetzt muss ich versuchen, David abzulenken. Die ehrliche Kunst des Bogenschießens wird uns dabei helfen. Vielleicht werden solche Grünschnäbel wie wir ja gebraucht, wenn die Franzosen die Straße heraufziehen.« Sprach’s und stapfte davon.
»Komm, Jack«, sagte ich leise. »Höchste Zeit, dass wir aufbrechen.«
* * *
Wieder ritten wir in südlicher Richtung durch den Sommerwald. Noch immer wurden in Hughs Waldland Bäume gefällt. Zwei Karren, beladen mit Eichenstämmen, deren Schnittstellen noch feucht waren, bogen von einem Seitenpfad auf die Straße und rumpelten gen Portsmouth.
Wir eilten weiter, durch üppiges Sommergrün, während die Luft auf Mittag zu immer heißer wurde. Die Pferde mühten sich die lange Steigung von Portsdown Hill hinauf. Oben angekommen, hielten wir inne und genossen erneut den eindrucksvollen Blick in die Ferne. Fast die gesamte Flotte schien mittlerweile im Solent vor Anker zu liegen, bis auf ein paar kleinere Schiffe in Portsmouth Haven. Die Schiffe bildeten drei lange Reihen, nur drei – ein Riese, gewiss die
Great Harry
, und zwei weitere Schiffe – umsegelten in östlicher Richtung die Küste von Portsea Island.
»Sie sind bereit zum Gefecht«, sagte Barak leise.
Ich blickte auf den östlichen Zipfel der Isle of Wight. Irgendwo in jener stillen blauen See – noch außer Sichtweite – näherte sich der Feind.
* * *
An der Brücke zwischen dem Festland und Portsea Island befanden sich zu beiden Seiten des Gezeitenstroms große Soldatenlager und schweres Geschütz. Ich hatte meine Anwaltstracht angelegt, und man winkte uns weiter, als ich sagte, ich hätte in der Stadt berufliche Pflichten zu erfüllen. Noch immer wurden Versorgungsgüter herangeschafft, wobei viele der beladenen Fuhrwerke auf die Zeltreihen entlang der Küste zuhielten.
Als wir hügelabwärts ritten, bemerkte Barak: »Da, die königlichen Zelte, hinter dem kleinen Tümpel.«
»O ja.« Ich zählte zwanzig der herrschaftlichen Zelte, in tausend unterschiedlichen Farben und Formen, die entlang der Küste standen. Weitere wurden errichtet.
»Glaubt Ihr, der König wird hier sein Lager aufschlagen, um die Seeschlacht zu beobachten?«
»Mag sein. Vielleicht auch die Königin.«
»Mutig ist er, der alte Heinrich!«
»Oder tollkühn. Komm, suchen wir Leacon.«
* * *
Vor den Mauern der Stadt, wo sich noch immer Männer abrackerten, um die Lehmwälle zu verbreitern, probten ganze Kompanien den Ernstfall: Sie
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