Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Pfeil der Rache

Der Pfeil der Rache

Titel: Der Pfeil der Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.J. Sansom
Vom Netzwerk:
und sie verschwanden durch eine Schiebetür. West wandte sich mir zu, Zorn stand in den tiefliegenden Augen.
    »Sir«, sagte ich, »ich komme von Eurer Mutter –«
    »Meine Mutter! Ihr –« Er verstummte, da er die neugierigen Blicke von Morgan und dem zweiten Küchenjungen auf sich spürte. »Wartet einen Moment«, sagte er. Ich schwieg, lauschte auf das Ächzen und Schlagen hinter der Tür. Dann rollten der Koch und sein Gehilfe ein schweres Fass in die Kombüse. Sie stellten es flugs auf, und der Koch nahm einen Meißel zur Hand und stemmte den Deckel auf. Ich sah eine weiße Masse Fisch, das Glitzern von Salz. Der Koch langte mit einem dürren Arm hinein, holte eine Handvoll Fische heraus und roch daran. »Die haben sich gehalten«, sagte er erleichtert.
    »Kippt das Schweinefleisch fort und geht daran, den Fisch zu garen«, sagte West. »Habt Ihr noch frisches Wasser?«
    »Jawohl, Sir.«
    West wandte sich an Morgan. »Hinauf mit Euch, sagt dem Zahlmeister, was wir tun. Sagt ihm, wir müssen noch heute Nacht frischen Proviant an Bord holen: Wir haben kaum noch etwas übrig.« Er wartete, bis Morgan die Leiter hinaufgeklettert war, bückte sich nach einem Leuchter und entzündete die Kerzen darauf mit einer dünnen Wachslunte. Er wies auf die Leiter. »Nun, Master Shardlake«, sagte er grimmig, »gehen wir also hinauf und unterhalten uns.«
    * * *
    Ich folgte West hinauf zum Speicher. Als wir von der Leiter stiegen, hörte ich das Getrippel von Ratten, die vor uns das Weite suchten. West trat einige Schritte von der Luke weg, stellte den Leuchter auf ein Fass und drehte sich zu mir um. Im fahlen Licht vermochte ich seine Miene nicht zu erkennen. Um mich herum sah ich Truhen und Kisten, die in den unterteilten Bereichen aufeinandergestapelt waren. Abseits der erstickenden Hitze trocknete der Schweiß auf meinem Gesicht augenblicklich, und mir wurde kalt. Das Schiff kippte leicht, und ich griff haltsuchend nach der Leiter.
    »Nun?«, fragte West.
    »Es ist etwas vorgefallen in Rolfswood.« Man habe die sterblichen Überreste von Master Fettiplace entdeckt, erzählte ich ihm, seine Mutter habe mich daraufhin aufgesucht und mir von dem verlorenen Brief an Anne Boleyn erzählt.
    »Dann soll der leidige Brief doch an die Öffentlichkeit kommen«, sagte West, als ich zu Ende gesprochen hatte. Seine Stimme klang ruhig, verdrießlich. Ich wünschte, ich könnte sein Gesicht sehen.
    »Es muss ein neues Ermittlungsverfahren geben«, sagte ich. »Eure Mutter meinte, die Geschichte mit dem verlorenen Brief müsse enthüllt werden, um Euch zu schützen.«
    Er lachte verbittert. »Ihr könnt mich nicht mir nichts, dir nichts einer Befragung wegen nach Rolfswood holen. Falls Ihr es noch nicht bemerkt haben solltet, Master Shardlake, ich bin hier unabkömmlich. Möglicherweise muss ich auch mein Leben lassen. Weil ich Menschen wie Euch verteidige. Die Strafe für meine Sünden«, fügte er bitter hinzu.
    »Ich weiß so gut wie Ihr, was auf uns zukommen kann«, antwortete ich ehrlich. »Aus diesem Grunde bin ich heute Abend hierhergekommen, um Euch zu fragen, was vor neunzehn Jahren in Rolfswood tatsächlich geschah. Master West, wer war der Freund, der Euch den Brief damals stahl?«
    Da schoss er auf mich zu, packte mich am Kragen und schleuderte mich gegen die Schiffswand. Er war sehr kräftig; sein sehniger Unterarm drückte meinen Hals gegen den Schiffsrumpf. »Was habt Ihr mit der Sache zu tun?«, fragte er wild. »Es muss etwas Persönliches sein, wenn Ihr mich bis hierher verfolgt. Antwortet gefälligst!« Er lockerte ein wenig den Druck auf meinen Hals, damit ich sprechen konnte. Aus der Nähe sah ich, wie der Zorn in seinen Augen loderte.
    »Ich will herausfinden, was in jener Nacht mit Ellen Fettiplace geschah.«
    »Wisst Ihr, wo sie ist?«, fragte West.
    »Und
Ihr

    Er antwortete nicht, und da dämmerte es mir, dass er in der Tat Ellens Aufenthaltsort kannte. Der Kampfgeist schien plötzlich von ihm gewichen, und er ließ von mir ab. Er sagte verbittert: »Mein Freund hat mich an jenem Tag hintergangen. Danach fand ich heraus, was Ellen zugestoßen war. Aus beiden Gründen ging ich zur See.«
    »Sagt mir, wer Euer Freund war. Solange noch Zeit ist.«
    »Seid Ihr in jemandes Auftrag hier? Jemand bei Hofe?« Die Wut war wieder in seine Stimme zurückgekehrt. »Wer sonst hätte ein Interesse daran, die alte Geschichte wieder aufzuwärmen?«
    »Ich nicht. Ich will lediglich herausfinden, was in Rolfswood geschah, mein

Weitere Kostenlose Bücher