Der Pfeil der Rache

Titel: Der Pfeil der Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.J. Sansom

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mich forschend an. »Habt Ihr jemanden erwartet?«
    Ich schüttelte den Kopf. Ich ließ die Säule los und taumelte zu meinen Säcken zurück.
    * * *
    Als ich das nächste Mal erwachte, war die Nacht hereingebrochen. Ich spürte, dass jemand neben mir saß, und fuhr erschrocken auf. Es war Barak, auf einem Schemel, neben ihm eine Lampe.
    »Jack?«, fragte ich zögernd, da meine Träume voller Gespenster gewesen waren.
    Er holte tief Luft. »Jawohl.«
    »Wie kommst du hierher?«
    »Nachdem ich eine Zeitlang vergebens in Petersfield auf Euch gewartet hatte, ritt ich nach Hoyland zurück, um mich nach Euch und Emma zu erkundigen. Da es hieß, keiner von Euch sei zurückgekehrt, ritt ich hierher nach Portsmouth. Und als ich heute Morgen hier eintraf, sagte man mir, dass Leacons Truppe mit der
Mary Rose
gesunken sei. Ich habe die Mastspitzen aus dem Wasser ragen sehen. Ich hielt Euch für tot, verflucht!«, stieß er in einem Anflug von Zorn aus. »Alsdann erfuhr ich, dass man einige Überlebende hierhergeschafft hatte, und kam nachsehen.«
    »Ich war auf dem Heckkastell und wurde in die See gespült. Emma hat mich gerettet.«
    »Sie hat ebenfalls überlebt?«
    »Ja, doch als das Boot uns an Land brachte, rannte sie fort. Auf dem Schiff – da sagte ich Leacon, wer sie sei. Er befahl ihr, Steppwams und Helm abzulegen und das Hemd aufzumachen. Ich hatte ihm verraten, dass sie eine Frau war. Aber es hat ihr das Leben gerettet. Jack, sie sind alle tot. Leacon, Carswell, Llewellyn, alle, die wir kannten.« Tränen schossen mir in die Augen. »Es war meine Schuld, meinetwegen hat Rich sie auf diesem vermaledeiten Schiff postiert –« Ich begann zu weinen.
    Da tat Barak etwas, womit ich niemals gerechnet hätte – er beugte sich herüber und nahm mich in die Arme.
    * * *
    Später konnte ich mich aufrichten. Ich erzählte Barak die ganze Geschichte – wie West mich gefesselt und eingesperrt hatte, die Szenen auf dem Heckkastell, die Flucht über die Laufbrücke und Emmas Hilfe im Wasser. Er sagte mir, er habe einige Briefe bei sich, die in Hoyland abgegeben worden seien – Tamasin sei wohlauf, aber besorgt, weil er noch nicht nach London zurückgekehrt sei. Guy gab an, dass Coldiron allmählich zum Ärgernis und verdrießlich werde, weil er Josephine vor ihm in Schutz nehme.
    »Das überrascht mich nicht«, sagte ich.
    Er sagte eine Weile nichts und stieß dann verdrossen aus: »Warum habt Ihr mich nicht benachrichtigt?«
    »Verzeih, aber ich musste nur immerzu daran denken, dass unsere Freunde meinetwegen gestorben sind.«
    »Wäre es nicht George Leacons Truppe gewesen, dann eine andere, und andere Frauen und Kinder würden jetzt trauern.«
    »Doch sie zu kennen« – ich schüttelte verzweifelt den Kopf – »sie zu kennen, das ist ein Unterschied.«
    »Es war Richard Rich, der sie auf die
Mary Rose
setzte«, sagte er.
    »Weil er wusste, dass West dort war. Ich sah sie ins Wasser stürzen. Sie hatten nicht die geringste Chance. Ich hätte mit ihnen sterben sollen: Es wäre nur gerecht.«
    »Was hätte das wohl für einen Sinn? Dass noch jemand tot wäre? Und ich hätte es Tamasin und Guy sagen müssen? Ich glaubte schon, dies käme auf mich zu, wisst Ihr.«
    Ich sah ihn an. »Verzeih.« Ich seufzte. »Wie geht es David? Ich hätte fragen sollen – in meinem Kopf geht alles durcheinander.«
    »Dyrick war noch immer im Kloster, er ließ mich weder zu Hobbey noch zu David.« Barak sah mich streng an. »Ihr müsst zu ihnen reiten und ihnen mitteilen, dass Emma noch am Leben ist. Mittlerweile wissen sie vermutlich, dass die
Mary Rose
mit fünfhundert Mann an Bord gesunken ist, sie machen sich doch Sorgen. Ihr müsst wieder zu Kräften kommen, damit Ihr aufstehen könnt. Dieser Edwin sagt, Ihr wollt nichts essen.«
    »Ich kann nicht.« Ich saß eine Weile stumm da. »Philip West – er hat den Heldentod bekommen, den er sich wünschte.«
    »Heldentod? Er starb, weil die Hundsfötter, die für den Schlamassel hier verantwortlich sind, die
Mary Rose
überladen haben und einen Mann an die Spitze stellten, der nichts von Schiffen versteht. Jedenfalls munkelt man dergleichen in den Schenken.«
    »Kurz bevor Leacon und ich uns auf das Heckkastell begaben, hatten wir West gesehen. Ich schaute ihn an – er wusste, dass ich ihn zur Rechenschaft ziehen würde. Ich war so entsetzlich – selbstgerecht die ganze Zeit.«
    »Glaubt Rich, Ihr wäret tot?«, fragte Barak.
    »Ich weiß es nicht. Ich fürchtete, er komme hierher.