Der Pfeil der Rache
Ertrunkenen Nachricht? Leacons Truppe kam aus Hertfordshire.«
»Sie werden wohl niemanden aussenden. Heimkehrende Soldaten sagen den Familien, wann die Angelegenheit vorüber ist.«
»Ich kann nach Kent reiten und zumindest Leacons Eltern benachrichtigen. Bei Gott, das bin ich den Leuten schuldig.«
Er entgegnete sanft: »Bringen wir zunächst unsere Angelegenheiten zu Ende und kehren dann nach London zurück.«
Auf dem Weg zu dem Wirtshaus, in dessen Stall Oddleg untergebracht war, begegnete uns eine Kompanie müde aussehender Soldaten, die auf den Kai zuhielten. Ich forschte in ihren Gesichtern und fragte dann leise: »Als du gestern in der Stadt warst, hast du nicht zufällig Emma entdeckt?«
»Ich habe mich umgehört, mit den Soldaten am Tor gesprochen. Kein Mensch erinnert sich an einen braunhaarigen Burschen in einem zerrissenen Hemd. Ich glaube, sie hat sich davongemacht.«
* * *
Wir fanden die Pferde und ritten zum Stadttor hinaus: Ich verließ Portsmouth zum letzten Mal, mit hängendem Kopf, außerstande, mich noch einmal umzublicken. Andere Soldaten bewohnten jetzt die Zelte von Leacons Truppe. Wir spornten die Pferde zu einem kurzen Galopp an, überquerten in nördlicher Richtung Portsea Island und die Brücke über den schlammigen Fluss zum Festland von Hampshire; alsdann nahmen wir den Weg links nach Portchester Castle. Ich wandte den Blick von der dem Meer zugewandten Seite, da ich den Anblick nicht ertragen konnte.
Ich hatte jetzt keinen Brief, keine Befugnis mehr, die Burg zu betreten, und wagte es nicht, Warner zu bemühen. Doch angesichts der Wachleute unweit des Burggrabens wichen Angst und Scheu von mir, kehrte meine juristische Redegewandtheit wieder: Ich sei ein Anwalt, sagte ich ihnen – was ja auch der Wahrheit entsprach –, und im Auftrag der Königin auf der
Mary Rose
gewesen. Obwohl mein Magen sich zusammenkrampfte, brachte ich den Namen über die Lippen.
Ich hatte erwartet, dass der wachhabende Offizier beeindruckt sein würde, doch er sah mich nur zweifelnd an. »Was sollte ein Rechtsanwalt auf der
Mary Rose
zu schaffen haben? Mit einem Mal behaupten Dutzende, sie seien Überlebende des gesunkenen Schiffs, und hoffen auf Pensionen. Und wenn Ihr ein Anwalt seid, wo ist Eure Robe?«
Ich verlor die Geduld. »Auf dem Grunde des Solent! Ich
war
auf dem Schiff, sage ich Euch. Und es wird mich bis ans Ende meiner Tage verfolgen! Und jetzt überbringt die Nachricht gefälligst der Königin, es ist dringend. Sie wird mich empfangen. Wenn sie es nicht tut, könnt Ihr mich in den Graben werfen, es ist mir gleich.«
Wieder sah er mich zweifelnd an, sandte aber einen Soldaten aus, meine Nachricht zu überbringen. Barak klopfte mir auf die Schulter. »Schon besser«, sagte er erleichtert. »Wie ich sehe, seid Ihr langsam wieder der Alte.«
Ich antwortete nicht. Der Anblick der Soldaten hatte mich wieder an Leacon und seine Truppe erinnert, und ich musste an das aufspritzende Wasser denken, als sie hineinstürzten und versanken. Ich packte Oddlegs Zügel und sah, wie meine Knöchel weiß wurden.
* * *
Eine halbe Stunde später führte man mich in ein reich ausgestattetes Gemach. Barak musste im Innenhof warten. Die Königin saß an einem Schreibtisch und verfasste ein Schriftstück. Wie immer waren zwei Kammerzofen bei ihr, die in einem Erkerfenster saßen und nähten. Sie standen auf und verneigten sich. Robert Warner stand neben dem Schreibtisch. Er musterte mich ärgerlich, als ich mich tief vor der Königin verneigte. Sie erhob sich. Ich sah, dass sie noch immer angespannt und müde aussah.
»Der Wachmann sagte mir, Ihr wäret auf der
Mary Rose
gewesen, Matthew?«, meinte sie freundlich.
»In der Tat, Euer Majestät.« Ich musste die Tränen fortblinzeln. Auf ein Zeichen der Königin hin führte Warner mich zu einem Stuhl. Königin Catherine, die Hände vor dem Schoß gefaltet, trat vor mich hin.
»Was ist geschehen?«, fragte sie sanft.
Ich holte tief Luft, doch einen Moment lang versagte mir die Stimme. »Verzeiht, Euer Majestät. Ich bin hierhergeeilt, jedoch – vergebt mir, das Sprechen fällt mir schwer.« Meine Stimme zitterte.
»Lasst Euch Zeit.« Die Königin winkte ihren Damen zu. »Rosamond, bring uns Wein.«
Nach einer Weile hatte ich mich gefasst und sagte: »Ich weiß jetzt, was Hugh Curteys widerfahren ist. Und dem armen Michael Calfhill, der in den Selbstmord getrieben wurde. Und dann – dann muss ich Euch noch etwas sagen über Sir Richard Rich und die
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