Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Pfeil der Rache

Der Pfeil der Rache

Titel: Der Pfeil der Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.J. Sansom
Vom Netzwerk:
der Gegenseite nicht im Handumdrehen entkräften konnte. Ächzend, da mein Rücken ganz steif geworden war, stand ich auf. Auch Broughton erhob sich.
    »Sir«, sagte er. »Werdet Ihr der Gerechtigkeit zum Siege verhelfen? Und das Unrecht wiedergutmachen, das Hugh widerfährt?«
    »Ich will es versuchen. Aber einfach wird es nicht. Ich schicke morgen Barak zu Euch, damit er Eure Aussage zu Papier bringt. Sie sollte beim Court of Wards eingereicht werden. Die Anhörung findet am Montag statt.«
    »Gott duldet kein Unrecht an Kindern«, stieß Broughton leidenschaftlich hervor. »Unser Heiland sagte: ›Was ihr den geringsten meiner Brüder tut, das habt ihr mir getan.‹« Er zitierte den Bibelvers mit zorniger Stimme; doch dann sah ich, dass er weinte, dass ihm Tränen über das zerfurchte Gesicht liefen. »Verzeiht, Sir«, sagte er. »Ich musste an Michael denken. Ein Selbstmörder. In der Hölle. Es ist so – hart. Doch Gott hat es so entschieden, und wie könnten wir Seinen Ratschluss in Zweifel ziehen?« In seinem Gesicht rangen Glaube und Verzweiflung miteinander.
    »Sein Ratschluss wird vielleicht durch die Gnade gemildert«, wagte ich zu bemerken. »Es ist ein wichtiger Grundsatz, zumindest nach irdischem Recht.«
    Broughton nickte, sagte aber nichts mehr, als er uns zum Ausgang führte. »Um welche Uhrzeit soll ich am Montag kommen?«, fragte er, ehe wir an der Kirchenpforte Abschied nahmen.
    »Die Anhörung ist auf zehn Uhr angesetzt. Der Court of Wards in Westminster. Kommt so früh wie möglich.«
    Broughton verneigte sich und kehrte in das Halbdunkel der Kirche zurück. Als wir durch die Friedhofspforte auf die Straße traten, wandte Barak sich mir zu. »Gerechtigkeit? Die wird er am Court of Wards nicht finden.« Er lachte bitter. »Nur hartherzige Urteile, wie seiner Meinung nach Gott sie fällt.«
    »Wenn Michael Calfhill es verdient hätte, in der Hölle zu schmoren, wären die Richter dort noch gnädiger als Gott. Komm, sprechen wir von anderen Dingen. Wir reden wie die Ketzer, und das mitten auf der Straße.«
    * * *
    Michael Calfhill hatte am anderen Ende der Stadt gelebt, im Labyrinth der Straßen unten am Fluss. Der Nachmittag war schon weit vorangeschritten, als wir in eine schmale Gasse einbogen, in der hohe alte Gebäude mit auskragenden Dachgesimsen zu Pensionen umgebaut worden waren, von denen die alte Farbe auf den morastigen Boden blätterte. Hühner scharrten im Dreck. Vor einem Wirtshaus an der Ecke lungerte eine Gruppe von etwa sieben oder acht jungen Lehrburschen herum, die Mehrzahl mit dem Schwert am Gürtel ihrer blauen Kittel, und maßen uns feindselig. Der größte, ein flachshaariger, stämmiger Bursche, starrte mich böse an. Vielleicht hielt er meine Anwaltsrobe für die Verkleidung eines französischen Spions. Barak legte die Hand auf den Griff seines eigenen Schwertes, und der Bursche blickte beiseite.
    Barak klopfte an eine unbemalte Holztür. Eine hübsche Jungfer öffnete sie, eine Schürze über dem schäbigen Wollkleid. Sie erkannte ihn wieder und lächelte ihm zu, ehe sie mich mit einem tiefen Knicks begrüßte. Es handelte sich wohl um Michaels Nachbarin; Barak schien ihr zu gefallen.
    »Ich habe Master Shardlake mitgebracht, Sally«, sagte er leichthin. »Den Rechtsanwalt, der sich für die Belange des armen Michael interessiert. Hat Konstabler Harman euch den Schlüssel überlassen?«
    »Ja, Sir. Kommt herein.«
    Wir folgten ihr in einen feuchten Flur. Durch eine weitere Tür gelangten wir in ihre Behausung: eine kleine Stube, schmutzige Binsenstreu auf dem Boden, ein Tisch und ein Bett. Ein alter Schlüssel aus Eisen lag auf dem Tisch. Die Fenster enthielten kein Glas, und die Läden standen offen. Ich sah, dass die Lehrburschen das Haus beobachteten. Sally folgte meinem Blick. »Sie hängen seit Tagen hier herum«, sagte sie. »Ich wünschte, sie würden sich endlich verziehen.«
    »Zu welcher Zunft gehören sie?«, fragte ich. »Ihre Meister sollten sie besser in Schach halten.«
    »Ich weiß es nicht. Viele Burschen haben ihre Lehrherren verloren, weil die Waren so teuer geworden sind. Mein Ehemann arbeitete als Bote für die deutschen Händler unten am Steelyard, doch seit alle Schiffe beschlagnahmt werden, liegt der Handel brach. Jetzt ist er auf Arbeitssuche.« Sie schien der Sorgen überdrüssig.
    Barak griff nach dem Schlüssel. »Dürfen wir uns umsehen?«
    »O ja. Der arme Michael«, fügte sie traurig hinzu.
    Ich folgte Barak die schmale Stiege hinauf.

Weitere Kostenlose Bücher