Der Pfeil der Rache
Euch gewonnen, nicht wahr?« Seine Stimme war wie ich sie in Erinnerung hatte, tief und rau, die Aussprache gebildet, aber doch mit einer kleinen Londoner Färbung; gut geeignet für den Gerichtssaal.
»Wir haben beide einen Fall verloren, wenn ich mich recht erinnere.«
»Seid Ihr sicher?«
»Jawohl.«
»Kommt in mein Zimmer. Ihr habt doch nichts dagegen, wenn Master Feaveryear, mein Schreiber, uns begleitet?« Er bedeutete dem jungen Mann, uns zu folgen.
»Ganz und gar nicht.« Meine Strategie bestand darin, selbst so wenig wie möglich zu sagen und Dyrick zu ermutigen, möglichst viel preiszugeben.
»Hinein mit dir, Sam.« Dyrick stieß die Tür zu seiner Amtsstube auf und winkte Feaveryear vor sich hinein. Ich folgte als Nächster. »Setzt Euch.« Dyrick wies mir den Schemel vor seinem großen Eichentisch und nahm selbst auf dem Stuhl dahinter Platz. Feaveryear ließ sich auf dem Schemel neben seinem Herrn nieder, nahm eine Feder zur Hand, die schon gespitzt bereitgelegen hatte, und tauchte sie in ein Tintenfass. Abschriften von Michael Calfhills Antrag und Dyricks Antwort lagen auf dem Tisch. Dyrick strich sie sorgfältig glatt und sah mich an. Sein Lächeln war verflogen.
»Bruder Shardlake. Es betrübt mich, einen Juristen von Eurem Format mit einem Fall wie diesem betraut zu sehen. Ich würde die Sache höchst verdrießlich, ja schikanös nennen, wäre der Mann, der diese schwerverständliche Anklage erhob, nicht eindeutig geisteskrank gewesen. Er hat sich selbst gerichtet, Gott möge ihm verzeihen. Die Klage wird abgeschmettert werden, und es werden erhebliche Kosten entstehen.« Er neigte sich vor. »Wer soll sie begleichen, ist seine Mutter begütert? Sie soll nur eine alte Magd sein.«
Er hatte also Informationen eingeholt. Vielleicht gegen ein Schmiergeld am Court of Wards, womöglich gar bei Mylling.
»Die Kosten werden beglichen, wie das Gesetz es vorschreibt«, sagte ich. Dasselbe hatte ich bereits zu Richard Rich gesagt. Ich beschloss, einen Brief an Warner zu schreiben und ihm vorzuschlagen, er möge sicherheitshalber für Mistress Calfhill eine kräftige Lohnnachzahlung hinterlegen. »Falls wir verlieren sollten.«
»Das werdet Ihr zweifellos.« Dyrick lachte, mit einem Seitenblick auf Feaveryear, der aufschaute und grinste. Ich öffnete meinen Ranzen.
»Seht Euch diese Zeugenaussagen an, Bruder. Von Mistress Calfhill und dem Pfarrer der Familie Curteys.« Ich reichte ihm die Abschriften. Dyrick las, wobei er gelegentlich die Nase rümpfte. Dann gab er die Papiere achselzuckend an Feaveryear weiter.
»Das ist alles, Sir? Mehr habt Ihr nicht?« Dyrick breitete die Arme aus. »Hörensagen, bedeutungslos. Jener Calfhill hat, ehe er sich erhängte, den Vorwurf geäußert, mein Mandant habe sich eines Vergehens schuldig gemacht. Dabei wird weder in seiner Klage noch in diesen Zeugenaussagen deutlich« – er beugte sich über den Schreibtisch, um seiner Rede Nachdruck zu verleihen –, »worin dieses Vergehen eigentlich bestand.«
Er hatte recht, darin lag unsere größte Schwäche.
»Michael Calfhill brachte eine ernste Beschuldigung vor –«
»Vage, nicht spezifiziert –«
»– und doch schwerwiegend genug, wie ich meine, um weitere Nachforschungen zu rechtfertigen. Denkt an den Wahlspruch des Court of Wards: ›Ein Helfer der Witwen und Waisen‹.«
Dyrick zog die Augenbrauen in die Höhe. »Und worin, Sir, sollten diese Nachforschungen bestehen? Etwa in Zeugenaussagen?«
»Vielleicht.«
»Und wer soll sie aufnehmen? Noch dazu in Hampshire? Und wie viel soll das kosten? Doch wohl genug, um jede Magd in den Ruin zu treiben!« Seine Stimme wurde laut. Er runzelte die Stirn und fasste sich wieder – zumindest hatte es den Anschein, denn alles, was Dyrick und sein Gehilfe taten, war Schauspielerei, wenn auch glänzend dargeboten.
»Es würde einige Tage in Anspruch nehmen«, sagte ich. »Euer Mandant muss nur zahlen, wenn er verliert. Und Ihr behauptet ja, dass dies unmöglich sei. Und meine Mandantin lebt im eigenen Haus.«
»Vermutlich in irgendeiner Bruchbude unweit des Schlachthofs?«
»Ihr solltet meine Mandantin nicht schmähen, Bruder«, sagte ich schroff. Dyrick neigte den Kopf.
»Es ist mein Ernst, Bruder«, wiederholte ich. Das Sprechen fiel mir schwer, ich hatte meine Kehle überanstrengt. »Ich sehe keine Stellungnahme Eures Mandanten. Weilt Master Hobbey derzeit in London?«
»Nein, Bruder Shardlake. Master Hobbey ist ein vielbeschäftigter Mann und in
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