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Der Pfeil der Rache

Der Pfeil der Rache

Titel: Der Pfeil der Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.J. Sansom
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den alten Emanuel eine Empfangsbestätigung für seine Kleider unterschreiben lassen oder sie selbst unterschreiben. Sie soll sie mir herbringen, und mein Tintenfass dazu.«
    * * *
    In der Stube tat Ellen, was sie am besten konnte, sie sprach beruhigend auf einen Patienten ein, die Stimme leise und ermunternd. Es war der hochaufgeschossene, hagere Mann, den ich bei meinem letzten Besuch im Hof gesehen hatte. Sie saßen an dem breiten, zerkratzten alten Tisch, zwischen ihnen eine Feder und ein Tintenfass. Ellen las ein Schreiben durch, während der neue Insasse ein Bündel an die Brust gedrückt hielt und sie argwöhnisch beäugte. Als ich eintrat, blickten beide auf. Ein freudiges Lächeln verklärte Ellens Gesicht. Der Patient jedoch warf sein Bündel auf den Tisch, fuhr auf und fuchtelte wild mit den Händen in meine Richtung. »Ein Rechtsanwalt!«, schrie er. »Sie haben einen Rechtsanwalt geschickt, die wollen mich ins Marshalsea-Gefängnis stecken!«
    »Aber nein, Emanuel«, sagte Ellen und packte ihn an der Schulter. »Dieser Mann ist mein Freund, Master Shardlake, er kommt meinetwegen.« Sie sprach mit Stolz.
    »Ich habe gezahlt, so viel ich kann, Sir«, beteuerte Emanuel mir händeringend. Er wich zurück, wurde noch aufgeregter. »Mein Geschäft ist fort, nur die Kleider am Leib sind mir geblieben und jene in dem Bündel. Das Gericht hat sie mir gelassen, sie haben sie mir geschickt –«
    Ich hob beschwichtigend die Hand. »Ich möchte Ellen besuchen, Sir. Ich weiß nichts über Euch –«
    »Ihr wollt mich täuschen. Sogar der König will mich täuschen, sein Silber ist nicht echt. Ich habe es gesehen. Sie haben mir all mein Silber fortgenommen.«
    »Palin!«, rief Ellen, als Emanuel sich ihrem Griff entwand und auf die Tür zusprang. Der junge Mann kam herein und fing ihn ein. »Komm mit, Freundchen«, sagte er, »komm mit und leg dich aufs Ohr. Niemand ist hinter dir her.« Er zerrte den weinenden Emanuel aus der Stube. Ich wandte mich an Ellen. Sie starrte entsetzt auf meinen Hals.
    »Matthew, was ist Euch geschehen?«
    »Ein Versuch, mich auszurauben. Es geht mir gut«, fügte ich beschwichtigend hinzu.
    »Danke, dass Ihr gekommen seid, Matthew. Es ist erst vier Tage her, seit Ihr –« Wieder lächelte sie.
    »Ich wollte etwas mit Euch besprechen. Doch Shawms erwähnte eben ein Formular, das Ihr für ihn unterzeichnen sollt.«
    »Ja, dieses hier, eine Empfangsbestätigung für Master Emanuels elende Habseligkeiten. Er will nicht unterzeichnen, also muss ich es tun.« Sie tat es, schrieb ihren Namen mit eleganter runder Hand, der Beweis, dass sie ein gewisses Maß an Bildung genossen hatte.
    Sie trug Papier und Tintenfass in Shawms’ Amtsstube zurück, wonach ich ihr den langen Gang entlang in ihre Kammer folgte. Sie trug dasselbe hellblaue Kleid wie am Sonntag, und ich bemerkte, dass es an mehreren Stellen fadenscheinig geworden war. Wir passierten die Zelle des feisten Alten, der sich einbildete, er sei der König. Seine Tür stand einen Spaltbreit offen, und einer der Schließer tauschte die Binsenstreu auf dem steinernen Boden aus, wobei er sich ein Tuch vor den Mund hielt, da die alte, die in einer Ecke aufgehäuft lag, erbärmlich stank. Der König saß auf einer Kommode, einen zerrissenen Vorhang als Mantel umgelegt und auf dem Haupt die Krone aus Papier. Er starrte mit versteinerter Miene ins Leere; die gewöhnlichen Sterblichen, die vorübergingen, strafte er mit Verachtung.
    Wir betraten Ellens Kammer. Wie immer ließ sie sich auf dem Bett nieder, während ich stehen blieb. »Armer Master Emanuel«, sagte sie traurig. »Bis vor einem Jahr war er ein wohlhabender Gentleman, ein Getreidehändler. Er ließ sich just nach der letzten Geldentwertung eine große Ladung Korn in neuen Münzen bezahlen und verlor ein Vermögen. Um es zu verhehlen, borgte er sich Geld, und jetzt ist er sein Geschäft los. Und auch seinen Verstand.«
    Ich sah sie an. »Die Patienten liegen dir am Herzen, nicht, Ellen?«
    »Jemand muss sich doch um die Menschen kümmern, um die sich sonst keiner schert.« Sie lächelte traurig.
    »Im Augenblick versuche ich, einem jungen Burschen zu helfen; er ist in einer ähnlichen Lage.« Ich zögerte. »Dazu muss ich möglicherweise für ein Weilchen verreisen.«
    Sie merkte auf, einen bangen Ausdruck im Gesicht. »Wohin? Für wie lange?«
    »Nach Hampshire, um ein paar Zeugen zu befragen. Eine Woche, vielleicht auch etwas länger.«
    »So weit? Ich werde allein sein.« Sie klang

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