Der Pfeil der Rache
Was habt Ihr gesagt? Am Ende habt Ihr sie gar angerührt?« Sein wilder Blick wurde zum lüsternen Grinsen.
»Aber nein. Ich sagte ihr nur, ich müsse wahrscheinlich eine Weile verreisen.« Ich durfte so wenig verraten wie möglich, ihr zuliebe.
»Tja, das ist die beste Nachricht, seit sie Cromwells Schädel aufgespießt haben.« Shawms’ Augen wurden schmal. »Ist das alles? Ich hörte sie von brennenden Männern kreischen und vom Himmel, der sie verschlingt.«
»Sie fing an zu schreien, als ich ihr sagte, ich würde fortgehen, ich habe nichts davon verstanden.«
»Tjaja, die plappern alles Mögliche, wenn sie wütend sind.« Shawms grinste wieder. »Die Vorstellung, dass Ihr weggeht, will ihr nicht recht schmecken, was?«
Ich hörte Geraune hinter der Tür, männliche Stimmen, Gerangel. »Was geschieht mit ihr?«, fragte ich.
»Sie binden sie fest. Das machen wir hier mit jedem, der uns Verdruss macht. Seid dankbar, dass wir sie nicht in Ketten legen.«
»Aber sie ist doch krank –«
»Und wer krank ist, muss im Zaum gehalten werden. Dann lernt er vielleicht, sich selbst im Zaum zu halten.« Er beugte sich zu mir herüber. »Das war Eure Schuld, Master Shardlake, weil Ihr so oft hierherkommt. Am besten, Ihr haltet Euch eine Weile von ihr fern. Wenn Ihr verreist, wird sie einsehen, dass sich Euer Leben nicht nur um sie dreht, und es tut ihr vielleicht sogar gut. Wir haben ein Auge auf sie, sie wird schon keine Dummheit machen, dafür sorgen wir.«
»Vielleicht wäre es leichter für euch alle, wenn sie stürbe«, sagte ich leise.
Er schüttelte den Kopf und sah mich mit ernstem Blick an. »Keineswegs, Master Shardlake. Wir haben sie hier neunzehn Jahre lang beschützt, und das werden wir auch weiterhin tun.«
»Beschützt wovor?«
»Vor sich selbst.« Er beugte sich vor und sagte langsam und mit Nachdruck: »Die einzige Gefahr für Ellen Fettiplace sind Menschen, die sie aus der Ruhe bringen. Es ist für jedermann das Beste, wenn sie hierbleibt und grast wie eine zufriedene Kuh. Geht Ihr nur Euren Geschäften nach. Und wenn Ihr wiederkommt, sehen wir weiter.«
»Lasst mich noch einmal zu ihr hinein, damit ich weiß, dass es ihr gutgeht.«
Shawms zögerte und klopfte schließlich an Ellens Tür. Gebons öffnete. Palin stand am Bett. Ellens Füße waren gefesselt, ihre Hände ebenfalls. Sie starrte zu mir herüber, und ihre Augen waren nicht mehr leer, sondern loderten voller Zorn.
»Ellen«, sagte ich. »Es tut mir leid –«
Sie erwiderte nichts, starrte nur weiter zu mir, die gefesselten Hände zu Fäusten geballt. Shawms schloss die Tür. »Da«, sagte er, »jetzt seht Ihr, was Ihr angerichtet habt.«
kapitel zehn
W ieder erklomm ich die Stufen zum Court of Wards, dem Vormundschaftsgericht. Barak war bei mir, unter dem Arm die mit einer roten Schleife zusammengehaltenen Schriftstücke für den Fall Curteys. Wir passierten das in Stein gemeißelte Motto:
Pupillus Orphanis et Vidius Adiutor.
Es war ein schöner, warmer Morgen. Ich hatte mich zu Fuß nach Westminster begeben, wo ich Barak eine halbe Stunde vor Beginn der Anhörung vor dem Gerichtsgebäude treffen wollte. Mein Gehilfe lehnte an der Mauer und blickte so bekümmert drein, wie ich ihn noch niemals zuvor gesehen hatte.
»Goodryke kam gestern Abend erneut zu uns«, sagte er ohne Umschweife.
»Jesusmaria, dieser Mann ist ja besessen!«
»Tammy ging an die Tür, sagte ihm, ich sei ausgegangen. Ich müsse in zwei Tagen den Soldateneid ablegen, ließ er mir bestellen.«
»Höchste Zeit, dass wir London verlassen«, sagte ich bestimmt. »Ganz gleich, wohin.«
»Selbst wenn ich gehe, wird Goodryke die Sache nicht auf sich beruhen lassen.Und wenn ich der Fahnenflucht bezichtigt werde, was dann? Darauf steht neuerdings der Galgen.«
Bevor ich antworten konnte, spürte ich eine Berührung am Arm. Es war Bess Calfhill, wieder in Schwarz, das reichverzierte goldene Kreuzlein um den Hals. Sie sah nervös aus.
»Komme ich zu spät?«, fragte sie. »Ich hätte mich beinahe verlaufen zwischen all den Häusern und Gassen.«
»Nein, Bess. Kommt, wir sollten – hineingehen. Wir unterhalten uns später, Jack.«
Wir erstiegen die Stufen, traten unter das Wappen. Ich war erleichtert, als ich Pfarrer Broughton in seiner Soutane auf der Bank sitzen sah. Er machte einen gefestigten, entschlossenen Eindruck. In einigem Abstand zu ihm saß Vincent Dyrick; als er mich sah, schüttelte er fast unmerklich den Kopf, als wäre er verwundert ob der
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