Der Pfeil der Rache
Feaveryear und Mylling sich Notizen machten. Ich erklärte Michaels lange Verbindung zu den Curteys-Kindern, seinen guten Charakter, seine Erfahrung als Hauslehrer und seine ernste Sorge um Hugh nach seinem jüngsten Besuch in Hampshire. Seine Mutter sei der festen Überzeugung, sagte ich, dass seine Klage gerechtfertigt sei und man der Angelegenheit dringend auf den Grund gehen müsse.
Als ich zu Ende gesprochen hatte, wandte Paulet sich nach Bess um und ließ den Blick etwa eine halbe Minute auf ihr ruhen. Sie errötete und rutschte unruhig auf ihrem Platz hin und her, hielt der Prüfung jedoch stand. Broughton legte die Hand auf die ihre und handelte sich einen missbilligenden Blick des Vorsitzenden ein. Dieser wandte sich wieder mir zu.
»Alles hängt von der Zeugenaussage der Mutter ab«, sagte er.
»So ist es, Master Paulet.«
»Der Tod des Klägers ist eigenartig. Ein Selbstmord, offenbar die Folge eines kranken Gemüts –« Man hörte gedämpftes Schluchzen von Bess; Paulet ging darüber hinweg.
Ich sagte: »Herr Vorsitzender, ein Vorfall, der diesen hochherzigen Mann in den Wahnsinn trieb, muss in der Tat ernst sein.«
»Könnte ernst sein, Master Shardlake. Könnte.« Paulet wandte sich an Dyrick. »Und nun soll der Beklagte, Master Hobbey, zu Worte kommen. Master Hobbey selbst ist abwesend, wie ich sehe.«
Dyrick erhob sich. »Mein Mandant ist damit beschäftigt, seine Verträge einzuhalten. Er leistet Arbeit von nationaler Wichtigkeit, indem er Flotte und Armee in Portsmouth mit Holz beliefert.« Er sah mich an. »Holz aus den eigenen Wäldern, sollte ich hinzufügen.«
Paulet überlegte kurz. »Wie ich dem Protokoll entnehme, ist für das Mündel keine Verheiratung vorgesehen.«
»So ist es. Master Hobbey möchte nicht, dass der Junge heiratet – bis er die Dame seines Herzens findet.« Dyricks Stimme wurde laut. »Wie wir wissen, ist der Mann, der diese ungewöhnliche Anklage erhob, nun tot. Die Beweise seiner Mutter beruhen rein auf Hörensagen. Und die Zeugenaussage Pfarrer Broughtons nimmt allenfalls Bezug auf die Vergabe der Vormundschaft vor vielen Jahren.« In seiner Stimme schwang ein Vorwurf. »Jene Vormundschaft durchlief das offizielle Verfahren der Vormundschaftsbehörde, der Vorläuferin dieses ehrenwerten Gerichtes.«
Paulet nickte. »Wohl wahr.« Er starrte auf Broughton. »Ihr seid in der Tat ein ungezogener Bursche, Sir, weil Ihr nun plötzlich hinsichtlich der Art und Weise, wie die Vormundschaft bewilligt wurde, Zweifel äußert.«
Broughton erhob sich. »Ich habe nur die Wahrheit gesprochen, Gott ist mein Zeuge.«
»Streitet nicht mit mir, sonst lasse ich Euch wegen Missachtung des Gerichts ins Gefängnis sperren.« Paulets Stimme wurde nicht laut, doch sie war messerscharf. Broughton zögerte und setzte sich wieder. Paulet wandte sich seufzend Dyrick zu.
»Michael Calfhills Behauptungen, und seien sie noch so vage, sind es dennoch wert, dass man ihnen nachgeht. Möchtet Ihr die Zeugen befragen?«
Dyrick starrte zu Bess hinüber. Sie erwiderte seinen Blick und warf dabei trotzig den Kopf in den Nacken. Nach kurzem Zögern sagte Dyrick: »Nein, Herr Vorsitzender.« Ich musste innerlich grinsen. Er hatte eingesehen, dass eine Befragung von Bess nur ihre aufrichtige Sorge zutage bringen würde. Da wusste ich, dass ich zumindest diese Schlacht gewonnen hatte, und seinem wütenden Gesichtsausdruck nach zu urteilen, war dies auch Dyrick bewusst. Doch das war nicht mein Verdienst. Ich kannte Paulet gut genug, um zu wissen, dass er uns unter normalen Umständen binnen Minuten des Saales verwiesen hätte.
»Nach meinem Dafürhalten«, sagte Paulet, »sollte das Gericht sämtliche Personen befragen, die derzeit mit Hugh Curteys’ Wohlergehen betraut sind.« Er wandte sich an mich. »An wen habt Ihr gedacht, Sergeant Shardlake?«
»An Hugh Curteys selbst, natürlich. An Master Hobbey, seine Frau, seinen Sohn, den Steward. Den gegenwärtigen Hauslehrer –«
»Es gibt keinen Hauslehrer mehr«, sagte Dyrick. Er stand wieder auf, sein Gesicht rot vor unterdrückter Wut. »Und David Hobbey ist noch unmündig.«
»Sonst noch jemand, Master Shardlake?«
»Ich würde vorschlagen, dass man auch den Lehnsrichter vor Ort um eine Stellungnahme bitten sollte. Und um Einsicht in die für Hugh Curteys maßgeblichen Kontenbücher.«
Paulet überlegte. »In Hampshire wäre dies Sir Quintin Priddis.«
Ich wagte eine Schmeichelei. »Ihr verfügt über ein erstaunliches Wissen, Herr
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