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Der Pfeil der Rache

Der Pfeil der Rache

Titel: Der Pfeil der Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.J. Sansom
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ritten nach Godalming hinein. Leacon und sein Zahlmeister machten sich auf die Suche nach dem Schultheiß, und wir hielten Ausschau nach einer Herberge. Die meisten waren voll belegt, aber schließlich fanden wir doch noch eine Unterkunft. Barak und Feaveryear würden sich erneut ein Zimmer teilen müssen. Ich ging hinauf in meine Kammer, zog die Stiefel aus und legte mich auf die Matratze, die diesmal mit Daunen gefüllt war. Ich war fast eingeschlafen, als es klopfte und Barak zu mir in die Kammer trat.
    »Kommt mit in die Stadt«, bat er mich. »Wir wollen anderswo zu Nacht speisen. Den ganzen Abend diesen Feaveryear, das ertrage ich nicht.«
    Ich rappelte mich hoch, Rücken und Schenkel schmerzten. »Mir geht es ähnlich mit Dyrick.«
    Wir fanden ein anderes Wirtshaus. Hier servierte man uns besseres Essen als tags zuvor. Ohne Dyrick und Feaveryear war es ein kurzweiliges Nachtmahl. Doch als wir wieder ins Freie traten, verspürte ich das dringende Bedürfnis, eine Weile allein zu sein; immerhin war ich seit zwei Tagen unentwegt in Gesellschaft.
    »Ich werfe einen Blick in die Kirche«, sagte ich.
    »Ein kurzes Gebet?«
    »Kirchen eignen sich gut, um Einkehr zu halten.«
    Er seufzte. »Dann werde ich mich also wieder an Feaveryear schmiegen.«
    Ich ging die Hauptstraße entlang und betrat die Kirche. Die Stille erinnerte mich an Kindertage, denn der Innenraum war noch annähernd traditionell gehalten, soweit es das Gesetz erlaubte. Die Abendsonne schien geradewegs in das farbige Westfenster und tauchte das Innere in ein mattes Rot. In einer Seitenkapelle las gerade ein Priester eine Messe für die Toten.
    Ich schritt bedächtig das Mittelschiff entlang. In einer weiteren Seitenkapelle stand eine Gestalt in einem staubigen weißen Rock gesenkten Hauptes vor dem Altar. George Leacon. Er hatte wohl meine Schritte gehört, denn er drehte sich nach mir um. Er wirkte völlig erschöpft.
    »Verzeiht«, sagte ich leise. »Ich kam nur, um mir die Kirche anzusehen.«
    Er lächelte traurig. »Ich versuchte, mit meinem Schöpfer Zwiesprache zu halten.«
    »Ihr habt schon damals in York eifrig die Bibel gelesen.«
    »Diese Bibel habe ich noch immer.« Er sah mich an, bekümmert, wie mir schien. »Neuerdings fällt mir auf, wie oft darin von Krieg die Rede ist. Zumindest im Alten Testament und in der Apokalypse des Johannes.«
    Ich setzte mich auf die Treppe zum Altar, denn nach dem langen Tag im Sattel fiel mir das Niederknien schwer. »Das ist wahr«, pflichtete ich ihm bei.
    »Ich muss diese Kriegsbilder loswerden«, stieß Leacon mit jäher Heftigkeit hervor. »Ich lese das Neue Testament, bete darum, dass mir nicht unentwegt diese Schlachtenbilder vor die Augen treten, aber – sie tun es dennoch.«
    Ich fragte mich erneut, wie das offene, knabenhafte Gesicht, das ich in Erinnerung hatte, so schmal und starr hatte werden können. »Ihr seid im vergangenen Jahr in Frankreich gewesen, nicht?«, begann ich sanft.
    »Ja.« Er setzte sich neben mich. »Diese Rekruten, sie haben keine Ahnung, was sie erwartet. Vor vier Jahren in York, Master Shardlake, hatte ich nur einfache Soldatenpflichten zu erfüllen. Ich war Kommandant einer Garnison an der schottischen Grenze oder in Calais oder hielt Wache vor den Königlichen Palästen. Es gab keinen Krieg, nur Geplänkel mit den Schotten. Gewiss, ich musste dafür sorgen, dass man die Köpfe von Plünderern in Berwick Castle zur Schau stellte. Und doch hatte ich selbst noch nie einen Menschen getötet. Und dann wurde ich entlassen, wie Ihr wisst.«
    »Zu Unrecht.«
    »Ich kehrte also auf den Bauernhof meiner Eltern zurück, den wir dank Eures rechtlichen Beistands behalten durften.«
    »Ich schuldete Euch einen Gefallen.«
    »Es war ein hartes, aber gutes Leben. Doch meine Eltern wurden älter, sie konnten die Arbeit nicht mehr alleine bewältigen, und wir mussten Knechte einstellen. Dann, im vergangenen Frühjahr, kam mein ehemaliger Hauptmann zu uns. Der König stehe kurz davor, in Frankreich einzufallen, sagte er, man brauche jeden Soldaten, dessen man habhaft werden könne. Da der Sold gut war, schlug ich ein.« Er sah mich eindringlich an. »Ich ahnte nicht, was auf mich zukommen würde. Klingt das nicht töricht und kindisch aus dem Munde eines Berufssoldaten?«
    »Was ist geschehen?«
    Leacon sprach nun mit stiller, verzweifelter Inbrunst. »Ich segelte zunächst mit Lord Hertfords Flotte nach Schottland. Der König hatte den Befehl gegeben, weder Frauen noch Kinder zu

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