Der Pfeil der Rache
mich. »Bucklige bringen Unglück, das weiß ein jeder! Aber wir sind ohnehin im Arsch, mit unserem dösigen alten Obristen und dem versoffenen Spieß.«
Der Rauch brannte mir in den Augen, als ich in die Runde blickte. Die Männer schauten unbehaglich beiseite. Sulyard rappelte sich auf und deutete schwankend auf mich.
»Der hat den bösen Blick! Wage es nicht, du –«
»Schluss damit!« Ein jeder wandte sich um. Pygeon war aufgesprungen und stand einige Fuß weit entfernt. »Schluss damit, du elender Wicht! Wir sitzen alle im selben Boot! Du bist nicht mehr daheim in deinem Dorf. Du kannst keinem mehr das Wildbret und die Enten stehlen, wie es dir passt, und tagein, tagaus den großen Herrn spielen!«
Sulyard brüllte: »Jetzt reiß ich dir die Eier ab!« Pygeon schien der Mut zu sinken, als Sulyard die beschwichtigende Hand eines Kameraden abschüttelte und das Messer vom Gürtel riss.
Da tauchte von der Seite eine hohe Gestalt im weißen Rock auf und versetzte Sulyard eine mächtige Maulschelle. Der geriet ins Taumeln, fing sich wieder und drohte erneut mit dem Messer. Leacon baute sich vor ihm auf. »Schlag zu, du unflätiger Rüpel, dann ist es Meuterei!«, brüllte er und setzte leiser hinzu: »Aber wir können das Ganze auch unter uns Männern ausfechten, wenn dir das lieber ist.«
Sulyard, mit aufgeplatzter Lippe, ließ schlaff die Arme sinken. Er stand schwankend da, wie eine Marionette mit durchschnittenen Fäden. »Ich wollte nicht meutern«, sagte er, geriet erneut ins Wanken und brüllte hinaus: »Ich will doch nur leben! Leben!«
»Dann bleibe gefälligst nüchtern und steh zu deinen Kameraden. Nur so kann ein Soldat überleben.«
»Hasenfuß!«, rief jemand aus der Dunkelheit. Sulyard wandte sich nach der Stimme und stolperte ihr hinterher in die Dunkelheit. Leacon wandte sich wieder seinen Männern zu. »Er wird vermutlich bald umfallen. Jemand soll nach einer Weile nach ihm suchen und ihn in sein Zelt legen. Er wird sich morgen früh im Beisein von euch allen bei Master Shardlake entschuldigen.« Damit ging er davon. Ich folgte ihm, holte ihn ein.
»Danke, George, aber ich möchte keine öffentliche Entschuldigung. Sulyard würde es nicht ernst meinen, und ich möchte das Regiment nicht in dieser Stimmung verlassen.«
Leacon nickte. »Wie Ihr wollt. Aber irgendeine Art von – von Wiedergutmachung sollte es schon geben.«
»Dergleichen ist mir schon oft passiert. Und nicht zum letzten Mal.« Nach kurzem Zögern fügte ich hinzu: »Er fürchtet sich vor dem, was möglicherweise auf euch zukommt.«
Leacon sah mich an. »Ich weiß. Wir nähern uns Portsmouth, da bekommen es viele Männer mit der Angst. Doch was ich sagte, stimmt: In der Schlacht sind Disziplin und Zusammenhalt die besten Überlebensstrategien. Obwohl am Ende doch Glück und Zufall die Entscheidung bringen.« Er schwieg eine Weile und sagte dann: »Diese Trommelei heute Nachmittag – ich hätte schreien mögen.« Wieder verstummte er. »Master Shardlake, nach alledem, was ich Euch in Godalming anvertraut habe, haltet Ihr mich – wirklich für geeignet, ein Regiment zu führen? Ich werde es müssen, Sir Franklin wird uns nicht viel helfen. Er ist tüchtig, wenn es darum geht, die Männer bei der Stange zu halten – vergangene Nacht haben etliche gezecht und gepöbelt, und wenige Worte von Sir Franklin brachten sie zum Schweigen. Aber Ihr habt ihn gesehen, er ist zu alt, um Soldaten in die Schlacht zu führen.«
»Ich sagte es schon, Ihr seid der beste Kommandant, den sich ein Regiment wünschen kann.«
»Danke«, sagte er leise. »Ich hegte schon die Befürchtung, Ihr könntet anderer Meinung sein.«
»Bei meiner Seele, nein!«
»Betet für uns, wenn sich unsere Wege trennen.«
»Natürlich. Obwohl ich schon seit langem nicht mehr das Gefühl habe, als höre Gott meine Gebete.«
* * *
Es war schrecklich, mit Dyrick im selben Zelt zu nächtigen. Er schnarchte entsetzlich und störte meinen Schlaf. Tags darauf ritten wir, allesamt sattelwund, weiter, noch eine Tagesreise vom Ziel entfernt. Sulyards Gesicht war von der Sauferei aufgedunsen wie eine Saublase. Als er seinen Platz im Glied einnahm, warfen einige Soldaten ihm unfreundliche Blicke zu – vermutlich, weil er seine Angst gezeigt hatte. Snodin dagegen sah nicht schlimmer aus als üblich – ein Hinweis auf den echten Säufer.
Wir brachen auf. Das Getrampel marschierender Füße, das Rumpeln der Fuhrwerke hinter uns, der Staub, den wir aufwirbelten,
Weitere Kostenlose Bücher