Der Pfeil der Rache
Feaveryear.«
»Gute Nacht, Master Shardlake.«
»Ach ja, gleich um die Ecke findet Ihr einen Barbier. Sagt es Eurem Herrn.«
* * *
Es goss in Strömen, als ich endlich bei meiner Herberge anlangte, noch ein Sommergewitter. Ich trug nur Hemd und Wams und war geschwind nass bis auf die Haut. Der Mann, den ich bestochen hatte, uns ein Zimmer für die Nacht zu besorgen, lud mich in die Küche ein und ließ mich am Feuer sitzen; wahrscheinlich erhoffte er sich noch eine Münze. Ich nahm sein Angebot gerne an, da ich in aller Ruhe über die Informationen nachdenken musste, die mir der Schankknecht im anderen Wirtshaus gegeben hatte.
Ich starrte in die auflodernden Flammen. Eine Eisenhütte war vor zwanzig Jahren in Rolfswood abgebrannt. Laut Aussage des Schankknechts hatte Ellen das Feuer gesehen, in dem mindestens ein Mann zu Tode gekommen war. War Ellen Zeugin eines Unfalls geworden, hatte sie deshalb den Verstand verloren? Doch wie passte die Vergewaltigung ins Bild? Trotz des wärmenden Feuers wurde mir kalt. Und wenn der Tod der beiden Männer kein Unfall gewesen war? Und wenn Ellen nun einen Mord beobachtet hatte und dies der Grund war, weswegen sie im Bedlam versteckt wurde? Langsam dämmerte mir, dass Guy und Barak mich zu Recht vor der Gefahr gewarnt hatten.
Ich war fast geneigt, nicht nach Rolfswood zu reiten. Ich konnte nach London zurückkehren und alles beim Alten belassen. Ellen war schließlich neunzehn Jahre lang in Sicherheit gewesen; wenn ich in einem Mordfall herumstocherte, brachte ich sie womöglich erneut in Gefahr.
Die Flammen im Kamin loderten höher. Plötzlich beleuchteten sie von unten einige Worte auf dem Kaminschirm, die mir einen solchen Schrecken einjagten, dass ich beinah von meinem Schemel gekippt wäre.
Gräme dich nicht, dein Herz ist mein.
Eine Frau mittleren Alters, die gerade die Zutaten für einen Gemüsebrei in eine Schüssel auf dem Küchentisch schüttete, blickte mich erstaunt an.
»Geht es Euch gut, Sir?« Sie eilte herbei. »Ihr seid sehr bleich geworden.«
»Was ist das?«, fragte ich und deutete auf den Schirm. »Die Worte da, seht Ihr sie?«
Sie sah mich seltsam an. »Hier in dieser Gegend ist es üblich, die Kaminschirme mit Worten oder Sprüchen zu versehen.«
»Was hat das zu bedeuten? Wessen Herz ist gemeint?«
Sie sah noch besorgter drein. »Ich weiß es nicht, vielleicht war die Frau des Schmieds gestorben oder dergleichen. Sir, Ihr seht übel aus.«
Ich schwitzte, spürte, wie ich errötete. »Ich habe mich nur erschrocken. Ich gehe hinauf in meine Kammer.«
Sie nickte voller Mitgefühl. »’s ist der Gedanke an die vielen Franzosen, die über den Kanal gesegelt kommen, beängstigend! Was für Zeiten, Sir, was für Zeiten!«
kapitel sechzehn
D er folgende Tag, der vierte auf dem Weg, verlief ereignislos. Es war wieder sonnig und heiß; die Luft schwül. Glücklicherweise hatte der Regen nicht lange genug angehalten, um die Wege aufzuweichen. Wir zogen wieder an Wäldern und Weiden vorbei und langten um die Mittagszeit in Petersfield an, wo wir Rast machten.
Als wir unseren Weg fortsetzten, veränderte sich die Landschaft allmählich; der Boden unter uns wurde kreidehaltig, dazu zogen wir immer häufiger durch offenes Grasland und stetig bergauf, bis wir den Höhenzug der Hampshire Downs erklommen hatten. Auf der Hauptstraße herrschte reger Verkehr; mehr Karren denn je mussten auf den Trompetenstoß unseres Trommlers hin am Wegesrand anhalten, um uns passieren zu lassen. Einmal sahen wir eine Kompanie der örtlichen Bürgerwehr auf einer Wiese den soldatischen Drill üben; sie winkten uns zu und jubelten. Immer häufiger fielen mir hohe Bauten auf den Hügeln ins Auge: Dicke Pfosten stützten Stapel von teergetränktem Holz, sogenannte Leuchtbaken. Stets hielt daneben einer Wache, um sie bei Bedarf, falls ein feindliches Schiff sich zeigte, zu entzünden. Solche Leuchtbaken säumten die Küste wie eine Kette.
Einmal passierte uns ein Kurier des Königs, und zum ersten Mal mussten die Soldaten den Weg freigeben. Baraks Blick folgte dem Reiter, der alsbald aus unserem Gesichtskreis verschwand; gewiss fragte er sich, wann ein Brief von Tamasin käme. Am Vorabend hatte er den erregten Zustand bemerkt, in dem ich zurückgekommen war, schien mir aber zu glauben, als ich ihm sagte, ich sei nass geworden und fröre. Ich dachte an den Kaminschirm und unterdrückte ein Schaudern. Seltsamerweise hatte ich ihn just in dem Moment entdeckt, da ich den
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