Der Pilot von der Donau
Befürchtungen hatten sich nur zu sehr bewahrheitet. Die bulgarische Revolution war im Entstehen erstickt worden. Schon versammelte die Türkei zahlreiche Truppen in dem großen Dreieck zwischen Rustschuk, Widdin und Sofia, und ihre eiserne Faust lastete schwer auf den unglücklichen Gegenden.
Ladko mußte umkehren und bessere Tage in der kleinen Stadt abwarten, in der er Aufenthalt genommen hatte.
Die Briefe, die er von Natscha hier bald erhielt, überzeugten ihn von der Unmöglichkeit, einen andern Entschluß zu fassen. Sein Haus wurde schärfer überwacht als je vorher, so daß Natscha sich so gut wie eine Gefangene fühlen mußte. Mehr als je wurde auch er selbst beobachtet, und er mußte sich also im allgemeinen Interesse sorgsam vor jedem unbedachten Schritte hüten.
Untätig lag Ladko jetzt in seinem Zimmer, nachdem die Waffensendungen nach dem Scheitern des Aufstandes und der Ansammlung türkischer Truppen an den Stromufern unterbrochen worden waren. Die an und für sich peinliche Wartezeit wurde ihm aber ganz unerträglich, als jede Nachricht von seiner geliebten Natscha ausblieb.
Er wußte nicht, was er davon denken sollte, und im Laufe der Zeit steigerte sich seine Unruhe zur tödlichsten Angst. Er hatte jetzt in der Tat alles zu fürchten. Am 1. Juli erklärte Serbien dem Sultan offiziell den Krieg, und seitdem wimmelte es im Donaugebiete von Truppen, deren Durchzug immer von schrecklichen Exzessen begleitet war. Gehörte nun vielleicht auch Natscha zu den Opfern dieser Unruhen oder war sie, entweder als Geisel oder als vermutliche Mitschuldige ihres Gatten, von den türkischen Behörden eingekerkert worden?
Nach einem Monate des Schweigens konnte er das nicht mehr ertragen und so entschloß er sich, allem zu trotzen, um nach Bulgarien zurückzukehren und die Ursache dieses Ausbleibens jeder Nachricht zu ergründen.
Schon um Natschas willen mußte er jedoch mit größter Vorsicht zu Werke gehen. Sich törichterweise von den türkischen Wachtposten abfangen zu lassen, hätte doch nichts genützt Seine Rückkehr hatte ja nur dann einen Zweck, wenn er in die Stadt Rustschuk gelangen und sich hier, trotz des auf ihm lastenden Verdachtes, frei bewegen konnte. Dann wollte er den Umständen gemäß handeln. Schlimmsten Falles und wenn er sich auch eiligst wieder über die Grenze zurückziehen müßte, hätte er doch wohl wenigstens die Freude genossen, sein Weib einmal ans Herz zu drücken.
Mehrere Tage grübelte Ladko über die Lösung dieses schwierigen Problems. Er glaubte sie endlich gefunden zu haben, und ohne sich jemand anzuvertrauen, ging er sofort an die Ausführung des von ihm ersonnenen Planes.
Würde der Erfolg haben? Das konnte nur die Zukunft lehren. Jetzt galt es, das Glück zu versuchen, und so kam es, daß die nächsten Nachbarn des Lotsen, dessen wahren Namen niemand kannte, am Morgen des 28. Juli 1876 das kleine Haus fest verschlossen fanden, worin dieser seit einigen Monaten einsam gewohnt hatte.
Worin der Plan Ladkos bestand, welchen Gefahren er sich wegen dessen Durchführung aussetzte, und inwiefern die Ereignisse in Bulgarien und besonders in Rustschuk mit dem Angelwettstreit von Sigmaringen in Verbindung stehen, das wird der freundliche Leser im weitern Verlauf dieser nicht erdichteten Erzählung erfahren, deren Hauptpersonen noch heute an den Ufern der Donau leben.
Fünftes Kapitel.
Karl Dragoch.
Sobald er seine Quittung in der Tasche hatte, begann Jäger sich häuslich einzurichten. Nachdem er sich wegen des ihm einzuräumenden Lagers erkundigt hatte, verschwand er in der beschränkten Kajüte, wohin er den Ledersack mitnahm. Zehn Minuten später trat er wieder, vom Kopf bis zu den Füßen verwandelt, daraus hervor. Er war jetzt ein richtiger Fischer – mit grober Wolljacke, schweren Stiefeln und Otterfellmütze bekleidet – und erschien als das vollkommene Abbild Ilia Bruschs.
Jäger verwunderte sich ein wenig, als er bemerkte, daß sein Wirt während seiner kurzen Abwesenheit die Jolle verlassen hatte. Seiner übernommenen Verpflichtung gemäß erlaubte er sich jedoch keine Frage, als jener in einer halben Stunde zurückkam. Ohne ihn dazu aufgefordert zu haben, hörte er jedoch, daß Ilia Brusch geglaubt hatte, den Zeitungen einige Mitteilungen zugehen lassen zu sollen mit der Meldung, daß er übermorgen Abend in Neustadt und am nächsten Tage in Regensburg einzutreffen hoffe. Jetzt, wo auch die Interessen Jägers mit ins Spiel kamen, lag ihm daran, nicht wieder so
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