Der Pilot von der Donau
anzunehmen, daß ein Dieb, noch mehr als ein solcher, ein Mörder, sich ins Wasser gestürzt hätte, ihn zu retten? Und wenn es sich trotz aller Unwahrscheinlichkeit so verhielt, war es denkbar, daß man, dem Tode entrissen, für die Aufopferungsfähigkeit seines Retters in dieser Weise dankte? Und welche Gefahr lag denn in der Verschiebung einer Verhaftung? Jetzt, wo der falsche Ilia Brusch entlarvt, wo seine Persönlichkeit bekannt war, würde es ihm ja doch unmöglich sein, den längs des Stromes stationierten Polizeimannschaften zu entgehen, und wenn die Untersuchung wirklich die Schuld des angeblichen Fischers erwies, würde auch noch zahlreicheres Personal zur Verfügung stehen und die verzögerte Verhaftung nur um so sicherer erfolgen.
Fünf Minuten lang grübelte Karl Dragoch über die ihm aufgedrängte Gewissensfrage. Sollte er fortgehen, ohne Ilia Brusch wiederzusehen? Oder sollte er dableiben, Friedrich Uhlmann in der Koje verstecken und wenn der Fischer erschien, sich, vorbehaltlich einer spätern Erklärung, schnell über ihn stürzen? Nein, das nicht. Eine so mutige Tat durch einen Verrat zu vergelten, der Gedanke schnitt ihm ins Herz. Besser war es da doch, selbst auf die Gefahr hin, einem Schuldbeladenen Gelegenheit zur eignen Rettung gegeben zu haben, wenn er die Nachforschungen von neuem begann und das vergaß, was er schon wußte. Führten ihn die Nachforschungen dann auf Ilia Brusch zurück und zwang ihn die strenge Pflicht, seinen Retter als Feind zu behandeln, so würde er ihn wenigstens Auge in Auge gegenüberstehend bekämpfen, nachdem er ihm Zeit gelassen hatte, sich auf seine Verteidigung einzurichten.
Als er sich über alle möglichen Folgen dieser Entscheidung klar geworden war, trat Karl Dragoch wieder in die Koje zurück.
»Gleich…!« (S. 115.)
Durch eine leicht auffindbar hingelegte Zeile teilte er Ilia Brusch mit, mindestens vierundzwanzig Stunden auf ihn zu warten. Dann machte er sich fertig fortzugehen.
»Wie viel Mann haben wir hier? fragte er aus der Koje hervortretend.
– Hier befinden sich nur zwei; man ist aber schon dabei, Alarm zu schlagen, so werden wir am Abend jedenfalls zehn Mann zur Verfügung haben.
– Gut. Hast du mir nicht gesagt, daß der Schauplatz des Verbrechens hier in der Nähe läge?
– Ungefähr zwei Kilometer weit, antwortete Uhlmann.
– So führe mich dahin«, sagte Karl Dragoch, indem er ans Ufer sprang.
Neuntes Kapitel.
Die zwei Mißerfolge Dragochs.
Die Karpathen beschreiben im nördlichen Teile Ungarns einen ungeheuern Bogen, dessen westliches Ende sich in zwei Ausläufer spaltet. Der eine reicht bis zur Donau in der Nähe von Preßburg, und der andre erreicht den Strom in der Umgebung von Gran, wo er auf dem rechten Ufer in einem siebenhundertsechsundsechzig Meter hohen Berge, dem Pilis, seine Fortsetzung findet.
Am Fuße dieses mittelhohen Berges war es, wo das Verbrechen stattgefunden hatte und wo Karl Dragoch zum erstenmale mit den schlimmen Gesellen, die er zu verfolgen beauftragt war, näher in Fühlung kommen sollte.
Einige Stunden vor dem Augenblick, wo er sich von seinem Wirte wegschlich und er sich, trotz seiner Schwäche, Gewalt antat, auf Uhlmanns Anzeige hin mit diesem zu gehen, hatte ein schwer beladner Planwagen vor einer elenden Schenke angehalten, die am Fuße eines der Hügel lag, die den Pilis mit dem Donautale verbinden.
Vom geschäftlichen Gesichtspunkte aus war die Lage dieser Schenke recht glücklich gewählt. Sie beherrschte die Kreuzung dreier Landstraßen, von denen die eine nach Norden, die zweite nach Südosten und die dritte nach Nordwesten verlief. Alle drei Straßen mündeten an der Donau, die von Norden an dem Bogen, den der Strom gegenüber dem Pilis beschreibt, die von Südosten am Flecken Sankt Andrä, und die von Nordwesten bei der Stadt Gran… so lag die Schenke zwischen den Schenkeln eines großen flüssigen Zirkels und mußte aus dem Verkehr der Fuhrwerke nach oder von den Schiffen gewiß einen anständigen Nutzen ziehen.
Von Gran aus verläuft die Donau erst deutlich von Westen nach Osten, biegt dann, in einiger Entfernung von der Mündung der Ipoly, nach Süden ab, wendet sich aber hierauf und nach Beschreibung eines Halbkreises mit kurzem Radius wieder nach Norden. Endlich windet sie sich auf sich selbst zurück, um eine nordsüdliche Richtung einzuschlagen, die sie nun sehr viele Kilometer weit beibehält.
Gerade als der Wagen anhielt ging die Sonne auf.
Im Hause mit seinen
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