Der Piratenlord
Sie sie nicht wegen ihres Standes an Bord gebracht haben“, fuhr Barnaby fort, als hätte er Gideons Gedanken erraten, „dann vielleicht um ihrer selbst willen. Ihnen ist doch sicherlich nicht entgangen, dass sie eine sehr hübsche junge Frau ist.“
„Sie ist eine von denen", erwiderte er scharf. „Alles andere ist unwichtig.“
Als Barnaby lachte, umfasste Gideon das Steuerrad fester. Ja, er hatte Lady Saras gefällige Gestalt und ihr reizendes Gesicht bemerkt. Von ihren Haaren hatte er nur einige Locken gesehen, die unter der Kappe hervorgelugt hatten, doch sie waren von einem dunklen Rotbraun gewesen. Ihm fiel auf, dass er sich fragte, wie sie wohl aussehen mochte, wenn ihn Haar vom Wind leicht zerzaust wäre oder ihr sogar nass über die Schultern fiele.
Verärgert über sich selbst, schob er die Vorstellung beiseite. Sie war eine scharfzüngige, widerspenstige Frau. Mochte sie auch noch so verlockend sein, ihn konnte sie jedenfalls nicht in Versuchung führen. Er stellte gewisse Bedingungen an eine Ehefrau, und sie erfüllte keine davon. Er wollte eine sanftmütige junge Frau haben, die sich ihm in den Nächten hingebungsvoll schenkte und keine aufsässige Adlige, die ihn bei Tag und Nacht plagen würde.
„Es ist unwichtig, warum ich sie von der Chastity mitgenommen habe“, sagte er. „Sie ist an Bord, und es ist zu spät, um sie zurückzuschicken.“ Als unter Deck das Klagen weiter anschwoll, verfinsterte sich Gideons Miene. „Die Frauen werden mit dem Gejammere nicht aufhören, solange sie unten ist und sie aufhetzt.“
„Lady Sara scheint zu glauben, dass Sie Ihre Meinung ändern und die Frauen zur Chastity zurückbringen werden, wenn sie nur genügend Lärm machen.“
„Ha! Die Frauen können sich glücklich schätzen, dass ihnen das erspart bleibt, was ihnen in New South Wales bevorgestanden hätte, abgesehen von der langen Reise dorthin.“ „Ja, aber das wissen sie ja nicht. Und Sie haben Ihnen auch nicht genau genug gesagt, was wir Vorhaben.“
Gideon rieb sich das stoppelige Kinn. „Du hast Recht. Ich musste mich so beeilen, sie ohne Blutvergießen an Bord zu bekommen, dass ich ihnen nur erklärt habe, dass wir Ehefrauen haben wollen.“
Vielleicht sollte er sie alle beruhigen. Wenn er ihnen zusicherte, dass ihnen nichts geschehen würde, würden sie vielleicht eher zur Zusammenarbeit bereit sein. Vorausgesetzt natürlich, dass er Lady Sara dazu zwingen konnte, die Frauen nicht länger aufzuwiegeln. Sie hatte sich ja wohl selbst zur deren Sprecherin ernannt.
Ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen. Ihre Sprecherin. Vielleicht sollte er das Problem lieber gleich anpacken. »Barnaby, geh hinunter, und bring Lady Sara in meine Kajüte. Dann komm zurück, und übernimm das Steuerrad.“
„Jetzt?“
„Sofort. Ich glaube, es wird Zeit, dass ich mich mit dieser lästigen Person einmal eingehend unterhalte.“
Sara stand inmitten des überfüllten Frachtraums und war so entrüstet, dass sie sich kaum beherrschen konnte. Wie konnte dieser erbärmliche Pirat es wagen, sie alle zu entführen!
„Los, meine Damen, ich weiß, dass Sie noch viel mehr Lärm machen können! “ schrie Sara über die Köpfe ihrer Schützlinge hinweg, die jammerten und sich aufführten, als hätte man ihnen ihre Kinder entrissen. „Wir werden sie dazu bringen, das Schiff zu wenden, und wenn wir uns heiser schreien müssen!"
„Sie werden uns stattdessen ermorden“, schimpfte Queenie über das Getöse hinweg. Sie war die Einzige gewesen, die sic gegen Saras Plan, die Piraten zu ärgern, gestellt hatte. Doch sie war von den anderen Frauen überstimmt worden. Wenigstem hatten sie etwas zu tun, statt in der Dunkelheit herumzuliegen und darauf zu warten, dass sie wie Lebensmittelrationen an die Männer verteilt wurden.
„Wenn sie uns hätten töten wollen, hätten sie das schon längst getan!“ schrie Sara zurück. „Sie haben gesagt, dass sie Ehefrauen haben wollen! Wir sollten ihnen zeigen, wie schrecklich wir als solche wären. Vielleicht lassen sie uns ja dann gehen!“
Kaum dass sie diese Worte ausgesprochen hatte, wurde die Luke zum Frachtraum geöffnet und einer der Piraten stieg die schmale Leiter herunter. Da er sofort lächelte, fragte sie sich, ob er ihre Worte gehört hatte.
Sie machte den Frauen ein Zeichen, ruhig zu sein, während sie ihren neuen Angreifer musterte. Seine elegantes Auftreten unterschied ihn erheblich von seinen Gefährten. In England hätte man ihn mit der gestreiften
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