Der Pistoleiro: Die wahre Geschichte eines Auftragsmörders
gesteckt hatte. Er schärfte ihm ein, immer mit derselben Waffe zu arbeiten, weil ihn das absichere. Der Onkel hob sein Hemd hoch und zog einen Revolver Kaliber 38 aus dem Hosenbund.
»Sie gehört dir. Ab jetzt wirst du mit dieser Waffe arbeiten«, sagte er und reichte Júlio den Revolver.
»Aber ich habe noch nie mit einem Revolver geschossen, Onkel. Ich weiß nur, wie man mit einem Gewehr umgeht.«
»Darum ja der Revolver. Du wirst ab sofort frühmorgens im Wald damit schießen üben, jeden Tag. Ich gebe dir deinen ersten Auftrag nur, wenn du auch gut schießen kannst. Und vergiss nicht: Du sollst mit dem Revolver umgehen lernen, damit du sicherer wirst. Es wird kaum vorkommen, dass du jemanden aus großer Entfernung erschießen musst. Am besten ist immer, du tötest aus der Nähe. So wie ich Aníbal.«
»Warum?«
»Der Schuss muss sitzen. Am besten in den Kopf. Von Weitem könntest du dein Ziel verfehlen, oder etwas versperrt dir die Sicht. Du wirst das alles mit der Zeit lernen. Ich habe keine Zweifel, dass du ein guter Pistoleiro wirst. Wir werden viel Geld machen.«
Cícero hatte noch mehr Ratschläge für Júlio:
SPRICH NICHT MEHR ALS NÖTIG MIT DEM OPFER
SPRICH NICHT MIT LEUTEN AUS DER NACHBARSCHAFT DES OPFERS
VERMEIDE JEDEN ÄRGER, AM TATORT WIE AN DEINEM WOHNORT
»Es ist wichtig, dass man dich in deiner Nachbarschaft als unauffälligen Typen kennt, das hält dir Verdächtigungen vom Leib«, belehrte ihn der Onkel.
VERWENDE NIEMALS DEINEN ECHTEN NAMEN
»Am besten verwendest du den Namen von jemandem, den du kennst, dann vergisst du ihn nicht und antwortest auch, wenn dich jemand beim falschen Namen nennt.«
Júlio machte sich daran, die Regeln und Ratschläge Cíceros zu verinnerlichen und mit dem Revolver umgehen zu lernen. Nach zwei Wochen fand er, er sei so weit. Eine Woche später erledigte er seinen ersten Auftrag als Profi. Cícero schickte ihn mit dem Bus nach Açailândia in Maranhão, einer siebzig Kilometer von Imperatriz gelegenen Stadt. Er sollte einen Mann namens Caetano töten, der einem örtlichen Händler, dessen Namen Júlio nie erfuhr – und nie erfahren wollte –, zweitausend Cruzeiros schuldete. Die ganze Fahrt über nestelte er am Revolver in seinem Hosenbund herum, den er unter einem weiten T-Shirt versteckte, über das er noch ein Hemd gezogen hatte. Um sein Gesicht zu verdecken, trug er einen Strohhut. In Açailândia wartete ein schmaler Junge auf ihn, der ein bisschen jünger als er zu sein schien, kaum ein Wort sprach und ihn zu einem Straßenmarkt brachte, wo Caetano an einem Stand Obst und Gemüse verkaufte.
»Der da ist es«, sagte der Junge, zeigte auf den Gemüsehändler und verschwand.
Júlio versteckte sich hinter einem mit Melonen beladenen Wägelchen und starrte zu dem Mann hinüber, den er töten sollte. Caetano machte einen anständigen Eindruck. Er war etwa einen Meter siebzig groß, hatte große Augen und feine Gesichtszüge, sein dunkles Haar war schütter. Wer auch immer sich seinem Stand näherte, wurde mit einem offenen Lächeln begrüßt. Das Opfer begann Júlio bereits leidzutun, bevor er überhaupt den Revolver benutzt hatte. Er erinnerte sich an die Worte seines Onkels: Bei diesem Geschäft ist es egal, ob der Kerl jemanden geschlagen oder seine Tochter vergewaltigt hat. Was zählt, ist, dass ich bezahlt werde und den Auftrag erledige . Und er wünschte, er wäre so gefühlskalt, so mutig. Cícero hatte ihm allerdings gesagt, dass er das Honorar für Caetanos Tod bereits erhalten hatte, es gab also kein Zurück mehr. Er war so aufgeregt, dass er kurz überlegte, ob er den Kerl auf der Stelle, mitten im bunten Markttreiben, hinrichten, dann wegrennen und den ersten Bus nach Imperatriz nehmen sollte. Doch ihm war klar, dass das zu riskant wäre. Also beschloss er, sich den Onkel zum Vorbild zu nehmen und abzuwarten.
Caetano räumte die übriggebliebenen Waren weg und schloss seinen Stand. Júlio folgte ihm im Abstand von etwa dreißig Metern durch die staubigen Straßen von Açailândia. Neben Caetano lief ein Freund. Júlio musste abwarten, bis sein Opfer allein war. Er war schon etwas unruhig, da verabschiedete sich Caetano von dem Freund und betrat eine Holzhütte, die eine schwarze Plastikplane als Dach hatte. Júlio war ratlos. Wie sollte er Caetano in seinem eigenen Zuhause töten? Es war wohl besser, es bleiben zu lassen, nach Imperatriz zurückzufahren und den Auftrag auf einen anderen Tag zu verschieben. Doch dann würde er sich von
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