Der Pistoleiro: Die wahre Geschichte eines Auftragsmörders
Neuem quälen müssen. Außerdem würde er gleich beim allerersten Auftrag versagen. Er beschloss, Açailândia erst zu verlassen, wenn er Caetano umgebracht hätte.
Es wurde schon dunkel und das Opfer befand sich noch immer in der Hütte, während Júlio auf der anderen Straßenseite unter einem Guavenbaum saß und wartete. In der Gegend gab es keinen Strom. Die Straße war stockfinster, die Laternen und die geöffneten Fenster einiger Hütten waren die einzige Lichtquelle. Die Zeit verstrich, nichts geschah. Da hatte er eine bestechende Idee. Aber er würde ziemlich viel Mut und Kaltblütigkeit aufbringen müssen, um sie umzusetzen: Er würde zu Caetanos Hütte hinübergehen und ihn rufen. Sobald der Markthändler die Tür aufmachte, würde er ihn in den Kopf schießen. Dann würde er ins Dickicht davonrennen, das hinter der Hütte begann. Die Straße war menschenleer. Er ging zu Caetanos Hütte. Sein Herz hämmerte, die Hände schwitzten.
»Seu Caetano!«, rief er mit tiefer, verstellter Stimme.
»Wer ist da?«, rief der Händler zurück.
»Ich hab eine Nachricht für Sie, es geht ganz schnell.«
»Ich komme schon.«
Júlio zog den Revolver aus dem Hosenbund und sah in der Trommel nach, ob er geladen war, wie es ihn Cícero gelehrt hatte. Dann nahm er die Hände hinter den Rücken und wartete darauf, dass Caetano die Tür öffnen würde. Er würde nur einmal schießen. In den Kopf. Er hörte, wie das Fenster links neben der Tür aufging.
»Was gibt’s?«, fragte Caetano.
Júlio wollte es so schnell wie möglich hinter sich bringen und den Händler ohne ein weiteres Wort erschießen, aber er brachte es nicht über sich. Sein Körper schien seinem Gehirn nicht zu gehorchen, er war wie gelähmt. Er konnte kaum sprechen, die Worte purzelten bleischwer aus seinem Mund.
»Ich will am Markt einen Stand eröffnen. Wissen Sie, wie ich das am besten anstelle?«, fragte er.
»Was ist denn das für ein Unsinn? Du hast doch gesagt, du hättest eine Nachricht für mich.«
»Können Sie mir nicht helfen?«, stammelte Júlio, während er sich dem Fenster näherte.
»Ich bin nur ein Verkäufer. Wenn du einen Standplatz für deine Marktbude haben willst, musst du mit den Leuten reden, die das Ganze organisieren.«
Júlio zog die rechte Hand hinter dem Rücken hervor und zielte mit dem Revolver auf Caetanos Kopf. Der Mann riss die Augen weit auf und wurde blass. Er rang nach Luft, bewegte die Lippen, als wollte er etwas sagen. Doch es blieb ihm keine Zeit. Júlio drückte ab und sah die Kugel knapp über Caetanos Auge eindringen. Er wartete nicht, bis der leblose Körper auf der Erde aufschlug, sondern stürzte fort ins Dickicht. Im Laufen begann er bereits mit den Ave-Marias und Vaterunser, um seine Seele von der Last zu befreien. Doch je mehr er betete, desto schuldiger fühlte er sich. Er betete weiter. Und rannte, bis ihn seine Beine nicht mehr trugen. Schweißüberströmt, mit trockenem Mund und hungrig – er hatte seit dem Frühstück nichts gegessen – ließ er sich auf den mit Laub bedeckten Boden fallen und betete, bis er einschlief. Es war der 27. Juli 1972, und Júlio Santana hatte zum ersten Mal professionell gemordet.
Am darauffolgenden Morgen nahm er den Bus zurück nach Imperatriz. Merkwürdigerweise war er stolz. Er war nicht mehr einfach irgendwer, sondern hatte den Mut aufgebracht, aus einem Meter Entfernung eine Kugel in den Kerl zu pusten. Zu Hause erzählte er seinem Onkel alle Einzelheiten. Cícero lobte ihn, vor der Tür nach dem Händler gerufen zu haben, und für seine Geduld, mit der er stundenlang unter dem Guavenbaum auf den richtigen Augenblick gewartet hatte. Gott, so versicherte er seinem Neffen, habe ihm gewiss schon vergeben. Dann nahm er ein Bündel Geldscheine aus der Hemdtasche und überreichte es Júlio mit einem Lächeln. Der Junge zählte dreihundert Cruzeiros.
»Ich dachte, es wäre mehr, Onkel«, sagte er.
»Ist dir das zu wenig, Julão? Wenn du zwei Aufträge dieser Art im Monat übernimmst, verdienst du sechshundert, mehr als die Hälfte von dem, was du in drei Monaten am Araguaia bekommen hast.«
»Ich weiß ja, aber du hast doch fünfhundert bekommen, als du in Imperatriz Aníbal getötet hast.«
»Ja und?«
»Ich dachte, weil der Auftrag in einer anderen Stadt war, würde ich mehr verdienen.«
»Es läuft tatsächlich so. Jeder Auftrag ist unterschiedlich gut bezahlt. Aber fein, dass dir das Geld so wichtig ist«, sagte Cícero.
Bevor er sich an diesem Abend
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