Der Pistoleiro: Die wahre Geschichte eines Auftragsmörders
Cícero und der Fahrer hingegen unterhielten sich über Fußball, Frauen und die Lage am Araguaia. Eines der grauenvollsten Ereignisse der letzten Tage sei, so erzählte der Fahrer, die Enthauptung eines jungen Rebellen gewesen. Die Soldaten waren mit dem Kopf des Mannes durch die Straßen von Xambioá gezogen. Júlio brachte das nicht mehr so leicht aus der Fassung wie vor seinem ersten Aufenthalt am Araguaia, denn auch wenn es eine furchtbare Sache war, hatte er mit eigenen Augen schon Schlimmeres gesehen.
Als sie bei ihm zu Hause waren, erklärte ihm Cícero, dass die Aufnahme in die Polizei nicht so einfach war, wie es sich Seu Jorge und Dona Marina vorstellten. Júlio müsste erst einmal eine Prüfung bestehen. Und für die nächsten Prüfungen gab es noch nicht einmal einen Termin.
»Und was mache ich hier solange?«, fragte er den Onkel.
»Natürlich arbeiten. Deswegen bist du doch hergekommen, oder?«
»Und was soll ich arbeiten? Ich kann doch nichts.«
»Du kannst hervorragend schießen…«, antwortete Cicero.
»Das kannst du gleich wieder vergessen, Onkel. Ich will nichts mehr mit den Hinrichtungen zu tun haben. Das hatte ich dir auch schon gesagt.« Júlio stand vom Sofa auf, um sich ein Glas Wasser aus dem Kühlschrank zu holen.
Es dauerte drei Tage, bis Cícero den Neffen davon überzeugt hatte, ihn bei einem Auftrag zu begleiten. Er sollte einen Mann töten, der Leandro, dem Auftraggeber, bei einem Fußballspiel vor aller Augen eine Ohrfeige verpasst hatte. Noch auf dem Spielfeld hatte Leandro gedroht, ihn umzubringen. Und weil er, Sohn eines Großbauern, nicht den Mut dazu hatte, beauftragte er Cícero damit.
»Du wirst diesen Kerl umbringen, nur weil er dem anderen eine verpasst hat?«, fragte Júlio.
»Nein, Julão, ich bringe ihn um, weil man mich dafür bezahlt. Eins musst du dir merken: In diesem Geschäft ist es egal, ob der andere nett ist oder ein böser Mensch. Ich will gar nicht wissen, ob er jemanden geschlagen oder seine Tochter vergewaltigt hat. Was zählt, ist, dass ich bezahlt werde und meine Arbeit erledige.«
Die Gefühlskälte des Onkels erschreckte Júlio, aber gleichzeitig bewunderte er ihn auch: Nicht jeder Mann würde einen anderen töten, ohne Furcht, Bedauern oder Traurigkeit zu empfinden, diese Kraft musste man erst einmal haben.
Am Tag des Auftrags verließen Júlio und Cícero noch vor dem Morgengrauen das Haus, ihr Gesicht verbargen sie unter einem Hut. Sie nahmen ein Fahrrad – Cícero trat in die Pedale, Júlio saß auf dem Gepäckträger – und fuhren in das etwa fünf Kilometer entfernte Viertel, wo das Opfer wohnte. Hundert Meter vor dessen Haus hielten sie an, setzten sich vor einer Tankstelle an den Straßenrand und warteten fast zwei Stunden. Der Mann hieß Aníbal, war etwa einen Meter sechzig groß und muskulös, hatte dunkle Haut und graues Haar. Als er das Haus verließ, ketteten sie das Fahrrad an einen Pfosten und folgten ihm in einiger Entfernung bis zu dem Geschäft, wo er arbeitete. Wieder warteten sie. Nach drei Stunden bekam Júlio Hunger, er wollte in dem Laden Kekse und Limonade kaufen. Doch Cícero winkte ab, Aníbal durfte sie auf keinen Fall sehen, bevor der richtige Zeitpunkt gekommen war: »Das kann alles zunichte machen.« Mittags ging der Verkäufer zu einem Imbiss über die Straße. Knapp eine Stunde später stand er wieder hinter der Ladentheke. Júlio fühlte sich miserabel, das Warten war unerträglich. Wie lange würden sie noch tatenlos auf der Straße herumstehen müssen?
»Für so eine Arbeit braucht es nicht nur Treffsicherheit, sondern auch Geduld. Wenn du dich hetzt, kann alles schiefgehen. Das wirst du schon noch lernen.«
Júlio war durcheinander, der belehrende Ton seines Onkels nervte ihn, und gleichzeitg war er stolz, dabei zu sein. Er brachte der Arbeit seines Onkels inzwischen eine gewisse Bewunderung, sogar Achtung entgegen. Er verstand sich selbst nicht mehr. Den Straßenlärm und das Gedränge der Menschen nahm er nicht mehr wahr, er hatte sich in Xamboiá an das Chaos gewöhnt. Er brannte nur noch darauf, endlich mitzubekommen, wie sein Onkel das Leben dieses armen Teufels auslöschte. Um sechs Uhr abends läuteten die Glocken der Kirche zwei Straßen weiter. Kurz darauf verriegelten Aníbal und ein weiterer Mann das Geschäft und ließen große rote Aluminiumrolläden vor dem Schaufenster herunter. Sie gingen in den Imbiss gegenüber. Júlio und Cícero stellten sich vor den Eingang. Cícero warf einen kurzen
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