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Der Pistoleiro: Die wahre Geschichte eines Auftragsmörders

Der Pistoleiro: Die wahre Geschichte eines Auftragsmörders

Titel: Der Pistoleiro: Die wahre Geschichte eines Auftragsmörders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klester Cavalcanti
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als Selbstmörder begraben.
    Erst jetzt, auf seinem Sofa in seiner Wohnung fiel Júlio auf, dass der Name João Baiano nicht nur für einen, sondern für zwei Tote in seinem Heft stand. Jede Seite, die er umblätterte, erinnerte ihn an weitere Verbrechen, die er begangen hatte: Männer, Frauen und Kinder, die er für Geld um ihr Leben gebracht hatte. Kinder nicht so viele. Vier Minderjährige unter sechzehn Jahren sind unter den Toten, aber 59 Frauen, davon die meisten im Auftrag ihrer Ehemänner, die sich betrogen fühlten. Als er aufhörte, seine Morde zu zählen, waren es 424 Männer. Insgesamt gehen 487 Tote auf sein Konto, nicht eingerechnet jene drei Menschen, die er vor 1974 tötete, als er begann, über seine Aufträge Buch zu führen.
    Wieder ließ er seinen Blick durch die Wohnung schweifen und fragte sich, ob es das wert gewesen sei, so viele Menschen zu töten. Er lebte nun nicht mehr in einer Siedlung am Fluss, wie in seiner Kindheit, sondern in der Stadt Porto Franco, die nur noch wenig von der Stadt hatte, in der er bis zu seinem achtzehnten Lebensjahr gelebt hatte. Anfang der siebziger Jahre hatte Porto Franco eintausendfünfhundert Einwohner. Im April 2006 waren es achtzehntausend. Die meisten Straßen bis auf die Hauptstraßen waren allerdings noch immer nicht befestigt. Sein Leben war wesentlich komfortabler als damals, aber so reich, wie er geglaubt hatte, als er anfing, als Mörder zu arbeiten, war er nicht geworden. Während er darüber nachdachte, blätterte er weiter in seinem Heft. Auf einer Seite fiel ihm rechts oben ein großes X auf. Er wusste noch genau, wofür es stand: das Ende der Zusammenarbeit mit Cícero, das Ende einer Freundschaft, die er für ewig gehalten hatte. Links neben dem X stand:
    NATIVO DA NATIVIDAE (VORSITZENDER DER GEWERKSCHAFT
    DER LANDARBEITER) IN CARMO DO RIO VERDE, GOIÁS, TÖTEN
    AUFTRAGGEBER: BÜRGERMEISTER ROBERTO PASCOAL
    REISE: 22. OKTOBER
    KONTAKTMANN: GENÉSIO
    BEZAHLUNG: 2 MILLIONEN CRUZEIROS
    Es war im Jahr 1985. Júlio war bereits verheiratet und ein Jahr zuvor aus Cíceros Wohnung in Imperatriz ausgezogen, um mit seiner Frau in Porto Franco zu leben. Doch ihre Freundschaft war ungetrübt. Sie waren Verwandte und arbeiteten überdies zusammen. Cícero beschaffte Júlio die Aufträge und fungierte als eine Art Mittelsmann zwischen den Auftraggebern und ihm. Selten verging ein Monat, in dem er keinen Auftrag hatte. Bisweilen beteiligte er sich an der Ermordung mehrerer Personen, wie bei dem Massaker an drei Landarbeitern in Pimenta Bueno im Bundesstaat Rondônia im Juni 1987.
    Júlios Frau hasste Cícero. Für sie war Cícero schuld an seinem Leben als Mörder. Júlio verteidigte ihn stets und sagte, er sei aus freien Stücken zum Pistoleiro geworden, weil er Geld verdienen und Abenteuer erleben wollte. Der Onkel habe ihm nur geholfen zu tun, was er tun wollte. Und so gab es immer, wenn Cícero kam, um Júlio eine Arbeit anzubieten, die gleiche Diskussion. Auch an jenem Donnerstagnachmittag, dem 16. Oktober 1985. Wie immer, wenn sie über ihre Arbeit sprachen, gingen Júlio und Cícero die zwei Kilometer bis zum Ufer des Rio Tocantins. In einem Gespräch, das nicht länger als zehn Minuten dauerte, gab Cícero seinem Neffen alle nötigen Informationen für seinen nächsten Auftrag. Der bestand darin, Nativo da Natividade zu töten, den Vorsitzenden der Landarbeitergewerkschaft von Carmo do Rio Verde im Landesinneren von Goiás. Auftraggeber war der Bürgermeister der Stadt, Roberto Pascoal, der sich Sorgen machte über den wachsenden Einfluss der Gewerkschaft und über das Gerücht, der Gewerkschafter wolle zu den im Jahr 1988 anstehenden Bürgermeisterwahlen antreten. Nativo sollte aus dem Weg geräumt werden, bevor dieser noch mehr Einfluss erlangte.
    Es war alles bereit. Mit dem Flugzeug sollte Júlio frühmorgens am 22. Oktober von Imperatriz nach Brasília fliegen. Am Flughafen der Hauptstadt würde ein Mann namens Genésio auf ihn warten und ihn nach Carmo do Rio Verde fahren, ungefähr zweihundertfünfzig Kilometer von Brasília entfernt. Dort würde er alle Zeit haben, die er benötigte, um Nativo da Natividade zu beseitigen. Für die Arbeit sollte er zwei Millionen Cruzeiros 4 erhalten, etwas mehr als drei Mindestlöhne. Júlio war das zu wenig, doch sein Onkel sagte, er habe bereits ordentlich mit dem Bürgermeister gefeilscht, mehr sei nicht herauszuholen.
    »Und zwei Millionen für einen, höchstens zwei Tage Arbeit sind doch gar nicht schlecht.

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