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Der Planet des Todes

Der Planet des Todes

Titel: Der Planet des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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erforderlich. Wie ich schon erwähnte, führt der Marax in jeder Sekunde fünf Millionen Berechnungen durch. Fünf Millionen! Und diese Arbeit dauert oft eine Stunde, zwei oder noch mehr. Bei der Überprüfung war der Marax sogar hundertneunundsechzig Stunden ohne Unterbrechung tätig. Bitte, stellt euch das einmal vor … Als ich von den drei Kurven sprach, wollte ich euch damit nur das Prinzip klarmachen.“
    „Da verstehe ich bloß eines noch nicht“, sagte der kleinste der Jungen und zog die Stirn in Falten. „Wie kann man denn alles in einer Kurve ausdrücken? Zum Beispiel … zum Beispiel das, was Sie uns über die Gewinnung dieses chemischen Stoffes gesagt haben? In der Antwort mußte doch angegeben sein, daß man soundso viel von dem und jenem nehmen, es in einen Tiegel schütten, mischen und kochen soll. Wie kann man so etwas mit Kurven ausdrücken?“
    „Es kommt vor allem darauf an, wie man dem Marax die Fragen stellt. Mich zu fragen ist natürlich keine Kunst; aber den Marax zu fragen, das will verstanden sein. Und wenn du glaubst, daß man mit Kurven nicht alles ausdrücken kann, dann irrst du dich, mein Junge. Ist denn unsere Schrift nicht auch so etwas wie eine verschlungene, sich überschneidende, komplizierte Kurve? Ihr dürft aber nun nicht denken, daß wir uns mit dem Marax auf diese Weise verständigen! Das ließe sich vielleicht sogar machen, würde jedoch eine ganze Menge technischer Schwierigkeiten verursachen. Der Marax ist wie ein fremdländischer großer Gelehrter – er kann uns sehr viel sagen, vermag sich aber nur in seiner Sprache auszudrücken. Deshalb verlohnt es schon der Mühe, seine Sprache, die Sprache der von hochfrequenten Wechselströmen gezeichneten Kurven zu lernen. Wer keine Übung darin besitzt, kann sich die Antworten durch ein Spezialgerät, den sogenannten Elektroanalysator von Mader-Fourier, in die normale Sprache übersetzen lassen. Dem Fachmann dagegen genügt es, einen Blick auf den Schirm zu werfen, um das Ergebnis ablesen zu können.“ Der Professor drückte einige Dutzend Tasten, dann noch den einen und anderen Knopf herunter. Auf dem Schirm wanden sich die ineinanderverschlungenen Linien immer langsamer, bis sie endlich zu einer geneigten Schleife erstarrten.
    „Ich habe den Marax gefragt, bei welcher Temperatur es am vorteilhaftesten ist, Stickstoff mit Sauerstoff zu Stickstoffdioxyd zu verbinden, und welcher Katalysator zu verwenden ist. Hier seht ihr die Antwort: Bei einer Temperatur von dreitausendfünfhundert Grad. Der Katalysator ist in diesem Fall Platin.“
    „Das weiß ich auch“, platzte der Kleinste heraus.
    Chandrasekar unterdrückte ein Lächeln. „Ich will mich nicht loben; aber denkst du, ich weiß es nicht?“ sagte er. „Ich habe ja diese Frage auch nur gestellt, um euch zu zeigen, wie der Marax arbeitet.“
    Einer der Jungen starrte auf einmal den Professor mit ganz großen Augen an. Irgendein Gedanke hatte ihn gepackt.
    „Herr Professor, Sie haben doch gesagt, daß der Marax genauso wie das Gehirn arbeitet … Das bedeutet, daß es im Gehirn genauso aussieht wie im Marax. Dann besteht also unser gesamtes Denken nur aus solchen Kurven?“
    „Hast du etwa geglaubt“, antwortete ihm der Professor, „daß im Gehirn Rosen und Veilchen wachsen, wenn man an Blumen denkt, und daß kleine Schäfchen im Kopf herumspringen, wenn man eine Schafherde sieht? Worüber wunderst du dich eigentlich? Darüber, daß der Verlauf des Denkprozesses in nichts seinem Inhalt ähnelt? Das ist doch ganz natürlich. Weißt du, was du sehen würdest, wenn du durch ein Fensterchen in der Schädeldecke schauen und das arbeitende Gehirn beobachten könntest?“
    „Zellen …“
    „Wenn aber die Vergrößerung so stark wäre, daß du die Atome, das Netz der Eiweißfäden sehen könntest, das sich nach allen Seiten hinzieht, und mitten unter ihnen frei schwimmende Eiweißkörperchen, kleine und große, ein- und vieldimensionale, dann würdest du erkennen, wie in den Kraftfeldern der schon bestehenden Moleküle sich neue bilden und andere zerfallen, indem sie Wolken von Elektronen ausschleudern, die an den Fermentketten entlanglaufen. Und was bedeutet das alles? In den elektrischen Röhren oder Lampen fließt der Strom vom negativen zum positiven Pol, und in den lebenden Zellen strömen die den Nährstoffen, wie Zucker oder Fett, entnommenen Elektronen zum Sauerstoff. So entsteht Wasser und Kohlendioxyd. Im täglichen Leben nennen wir diesen Vorgang Verbrennung. In

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