Der Planet des Todes
ungefähr eine halbe Sekunde. Der Marax führt fünf Millionen Berechnungen in der Sekunde durch, das macht in einer halben Sekunde rund zweieinhalb Millionen, und gerade soviel waren erforderlich.“
Die Jungen betrachteten nun das Gerät mit ganz anderen Augen als vorher.
„Ich sehe, daß der Marax in eurem Ansehen gestiegen ist“, fuhr Chandrasekar fort. „Dabei war diese Aufgabe eigentlich sehr einfach. Der Marax hat euch damit bewiesen, wie gewaltig er dank der Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Stromes unserem Gehirn überlegen ist.
Die Frage der Verbindung zwischen den Röhren, beziehungsweise den Zellen, spielt auch im Gehirn eine große Rolle. Ihr wißt, daß das menschliche Gehirn gefaltet ist und daß eine gefaltete Oberfläche mehr Zellen fassen kann als eine glatte. Die Zellen für sich allein sind jedoch unzureichend. Sie müssen durch Fäden, wie die Röhren durch Kabel, miteinander verbunden sein. Diese verbindenden Nervenfäden bilden in ihrer Gesamtheit die sogenannte weiße Gehirnsubstanz. Sie ist bedeutend größer als die graue, das heißt die, die aus den Zellen selbst besteht. Warum das so ist? Nun, überlegt einmal: Wenn ihr vier Zellen habt und wollt diese mit- und untereinander verbinden, so sind dazu nicht vier, sondern sechs Kontakte erforderlich, für fünf Zellen schon elf, für sechs bereits vierzehn, und zwölf Milliarden Zellen hat das Gehirn. So kommt es eben, daß die weiße Gehirnsubstanz die graue um ein bedeutsames überwiegt. Ihr habt sicher schon gehört, daß Gelehrte als sehr zerstreute Menschen gelten, nicht wahr? Ich will versuchen, euch mit Hilfe des Marax zu erklären, warum das so ist. Es hängt nämlich unmittelbar zusammen mit der Verbindung zwischen den Zellen des menschlichen Gehirnes beziehungsweise zwischen den Röhren des Apparates. Aber zuerst muß der Marax die vorhergehende Aufgabe vergessen.“ Chandrasekar betätigte einen Hebel; die helle Kurve verschwand. Nun liefen die Finger des Professors außerordentlich rasch über die Tastatur, als bediene er eine etwas ungewöhnliche Schreibmaschine.
„Wenn ich dem Marax eine Aufgabe stelle“, erläuterte er, „dann bemüht er sich zunächst, sie zu erfassen. Er schaltet automatisch so viele Stromkreise ein wie erforderlich sind. Dem Zustand, den wir im täglichen Leben, entsprechend der Schwierigkeit der zu bewältigenden Aufgabe, als größere oder kleinere Konzentration der Aufmerksamkeit bezeichnen, entspricht hier eine größere oder kleinere Anzahl von Röhren, die sich in den Arbeitsvorgang einschalten.“
Chandrasekar drückte immer neue Tasten. Im Marax gingen sonderbare Dinge vor sich. Mit phosphoreszierendem Glanz erhellte sich ein Schirm nach dem anderen, bis alle neun rings um die Pultfläche leuchteten und sich wie bleiche Monde in unbewegtem, dunkelgrünem Wasser widerspiegelten. Anfangs schlängelten sich die Kurven langsam dahin, dann immer rascher, rissen ab und flatterten. Das dumpfe Brummen des Stromes erfüllte den Raum.
Plötzlich fuhren die Jungen zusammen. Die gedämpfte, aber trotzdem starke Baßstimme eines Summers ertönte und am Pult flammten rote Buchstaben auf: „Überlastung.“ Der Professor zeigte den Jungen, daß die Tasten dem Druck der Finger Widerstand leisteten, als wären sie festgeklemmt.
„Seht ihr?“ sagte er. „Der Marax verweigerte den Gehorsam. Ich verlangte von ihm, so viele Aufgaben auf einmal zu lösen, daß in den Leitungen eine Stauung eintrat, die er nicht mehr bewältigen konnte. Mit der Zerstreutheit ist es im Grunde das gleiche. Hm, ich sehe, daß ich euch noch nicht überzeugt habe. Ich will versuchen, mich deutlicher auszudrücken: Wenn ich an etwas Einfaches denke, kann ich meine Aufmerksamkeit gleichzeitig auf etwas anderes lenken. Ich kann zum Beispiel Verse aus dem Gedächtnis wiederholen und gleichzeitig durchs Fenster die Straße beobachten. Wenn die Aufgabe aber schwer ist, kann ich meine Aufmerksamkeit nicht mehr zersplittern. Je mehr Nervenzellen arbeiten, je mehr kreisende Ströme sie erzeugen, ein desto größerer Druck herrscht in den verschiedenen Nervenfäden. Das ist das eigentliche Geheimnis des ,zerstreuten Professors‘: Sind viele Zellen mit der Lösung schwerer Aufgaben beschäftigt, so ist in den Leitungen kein Platz mehr für neue Stromimpulse. Deshalb kann es Vorkommen, daß ein Astronom, der beim Verlassen des Observatoriums über eine neue Theorie grübelt, den Mantel vergißt, seine Bekannten nicht erkennt, kurzum, wie
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