Der Planet des Todes
möglich, eine Maschine zu bauen, die selbst Erfindungen macht?“
Chandrasekar schwieg einen Augenblick, dann fuhr er fort: „Gegenwärtig noch nicht. Was die Zukunft bringt … das ist schwer zu sagen. Eines steht jedoch für mich fest: Keine Maschine wird den Menschen je überflüssig machen. Früher, vor hundert Jahren, fürchteten die Menschen die Maschinen und dachten, daß sie ihnen Arbeit und Brot nehmen werden. Aber nicht die Maschinen waren daran schuld, sondern die damalige Gesellschaftsordnung. Was aber den Marax anbelangt, so will ich euch noch eines verraten. Ich erwähnte vorhin das Klavier und den Komponisten. Dieser Vergleich erscheint mir sehr zutreffend. Ähnlich wie nur ein Virtuose eine wahrhaft schöne Musik aus einem Instrument hervorholen kann, vermag auch nur ein Mathematiker die beschränkten, aber doch sehr großen Möglichkeiten des Marax vollständig auszunutzen. Zuweilen, wenn ich nachts hier sitze und arbeite, geschieht etwas ganz Eigenartiges. Es ist so, als verschwände die Grenze zwischen mir und dem Marax. Manchmal suche ich die Antworten auf gestellte Fragen im eigenen Kopf, dann wieder gleiten meine Finger über die Tasten, ich lese die Antwort von den Schirmen ab … und empfinde dabei keinen grundsätzlichen Unterschied mehr. Eines geht in das andere über.“
Nach diesen Worten trat wieder Stille ein, die von dem kaum wahrnehmbaren Summen der Ströme erfüllt war, „Herr Professor“, flüsterte schließlich einer der Jungen. „Haben Sie diese Maschine konstruiert?“
Wie aus tiefem Nachdenken gerissen, blickte ihn der Gelehrte mit seinen leuchtenden Augen an: „Was sagst du da, mein Junge? Daß ich … Nein. Woher denn. Der Ingenieur hat, glaube ich, so etwas Ähnliches erzählt. Ich war nur einer von vielen. – Ich erinnere mich noch sehr gut der Zeit, als die ersten Denkmaschinen geschaffen wurden. Das war ungefähr vor dreißig Jahren. Einige Gelehrte bemühten sich damals, ein Gerät zu konstruieren, das den Blinden das Lesen ermöglichen sollte. Die größte Schwierigkeit lag darin, daß dieses Gerät in der Lage sein mußte, die Buchstaben – unabhängig davon, ob sie groß oder klein, gedruckt oder geschrieben waren – zu unterscheiden, so, wie es eben unsere Augen vermögen. Als es endlich gelungen war, die richtige Konstruktion dieses Apparates zu finden, zeigte einer der Gelehrten sein Schema einem bekannten Physiologen, ohne ihm zu sagen, was es darstellte. Kaum hatte der Physiologe einen Blick darauf geworfen, als er ausrief: ,Das ist ja die vierte Schicht der Nervenzellen vom Sehzentrum unseres Gehirns!‘ Auf diese Weise entstand die erste Maschine, die die Tätigkeit des Gehirns nachahmt, allerdings nur eine Tätigkeit. Es war ja auch erst der Anfang.“
Unter den Jungen, die in tiefem Schweigen zugehört hatten, wurde es auf einmal unruhig. Der kleinste von ihnen drängte sich mit aller Gewalt unter den Armen seiner Kameraden nach vorn, bis sein Kopf wie eine rote Rübe über dem schimmernden Pult auftauchte. „Herr Professor“, stieß er atemlos hervor, „ich bin erst vierzehn, aber … Bitte, lachen Sie mich nicht aus! Sagen Sie mir doch, was man tun muß, um genauso zu werden, wie Sie es sind.“
Chandrasekar wandte dem Jungen seine ruhigen, dunklen Augen zu. „Ich bin kein Ideal“, sprach er, „und ich möchte auch keines sein. Das einzig Wertvolle an mir ist vielleicht, daß ich die Mathematik liebe. Was könnte ich euch sonst noch sagen? Ich habe mich immer bemüht, dem Leitwort treu zu bleiben, das mir mein Lehrer mit auf den Weg gab: Niemals rasten! Nie sich mit dem Vollbrachten begnügen, immer weiterschreiten! Diese Forderung beherrschte das Leben aller der Menschen, die etwas erreichten. Als Max Planck nach vielen Jahren mühsamen Forschens die Quantennatur der Energie entdeckte, hielten Menschen von seichtem Denken das für die ruhmvolle Krönung seines Strebens und sein Werk für vollendet. Ihm selbst aber wurde die neue Erkenntnis zu einem Problem, dessen Lösung er sein ganzes weiteres Leben widmete. Man darf nie seine eigenen Ideen bewundern, Jungens, darf nie zufrieden mit dem Erreichten sein, muß mit solcher Kraft auf die eigene Theorie einhämmern, daß alles, was in ihr nicht echt und wahr ist, zusammenbricht. Es ist sehr schwer, so zu handeln, ich weiß es. In der Wissenschaft, wie überhaupt im Leben, wird niemandem mehr etwas geschenkt. Die Epoche zufälliger Entdeckungen und unverdienter Karrieren gehört der
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