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Der Planet des Todes

Der Planet des Todes

Titel: Der Planet des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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man sagt, nichts von der Welt sieht … Und das alles wird durch Stauung der Ströme in den Fäden der weißen Gehirnsubstanz verursacht.“
    Chandrasekar berührte einen änderen Schalter. Die stillstehenden Kurven verschwanden, und die Leuchtschirme erloschen wie ausgeblasen.
    Der Professor hob den Kopf und betrachtete eine Weile die Jungen, die sich im engen Kreis um das Pult geschart hatten. „Ihr wißt nun schon einiges über die Verbindung zwischen den Röhren. Das zweite wesentliche Problem ist das – Gedächtnis. Der Marax muß einmal in Erinnerung behalten, was wir ihm aufgetragen haben, und zum anderen die Ergebnisse der Nebenrechnungen, um sie später auswerten zu können. Hierzu ein ganz einfaches Beispiel: Ich will dreiundzwanzig mit vier multiplizieren. Zuerst rechne ich also zwanzig mal vier aus; das ergibt achtzig. Diese Zahl merke ich mir. Dann multipliziere ich drei mit vier; das ergibt zwölf. Nun muß ich mich an das vorhergehende Ergebnis erinnern, also an die Zahl achtzig, und zwölf hinzuzählen. Das Endresultat lautet zweiundneunzig. Natürlich ist das nur ein Beispiel. Beim Marax geht es um unvergleichlich schwierigere Dinge; aber der Grundgedanke ist ähnlich, und daher muß die Maschine ein blitzschnell reagierendes Gedächtnisorgan besitzen. Das kann in diesem Fall keine mechanisch ausgelöste Aufzeichnung sein, eine Lochkarte oder etwas Ähnliches. Über das Abwicklungstempo eines jeden Prozesses entscheidet sein langsamstes Glied. Wollte man als Gedächtnisorgan eine mechanisch gelenkte Aufzeichnung verwenden, so würde das beste System dieser Art ungefähr eine Zehntelsekunde beanspruchen, um ein Zwischenresultat festzuhalten. In einem solchen Fall könnte der Marax nur noch zehn Berechnungen in der Sekunde statt fünf Millionen durchführen. Deshalb verwendet man also ein elektrisches Organ. Die Grundidee ist folgende: Den Stromimpuls, der dem entspricht, was im Gedächtnis festgehalten werden soll, schließen wir in einen Stromkreis ein und befehlen ihm, darin zu kreisen. In der Praxis sind verschiedene Systeme in Gebrauch. Der Marax besitzt sogenannte Kapazitrone, das heißt Vakuumröhren, in denen sich eine große Anzahl außerordentlich kleiner Kondensatoren befindet. Sie entsprechen gewissermaßen den Blättern eines Notizblocks. Und darauf schreibt eine ,Feder‘, die aus einem Elektronenbündel besteht, mit einer Geschwindigkeit von zweihundertsechzigtausend Kilometern in der Sekunde. Eine beachtliche Leistung, nicht wahr? Die Bewegungen dieser Feder werden von einem elektrischen Feld gesteuert. Ein einziges Kapazitron kann bis zu vierzigtausend Resultate auf einmal in Erinnerung behalten und sie nötigenfalls im Bruchteil einer Sekunde mitteilen.“
    „Herr Professor, in was für einer Schrift schreibt denn diese Elektronenfeder?“
    Chandrasekar runzelte leicht die Stirn. „Sie schreibt natürlich nicht so, wie ihr euch das vorstellt. Ich habe das doch nur bildlich gemeint. Sie gibt an die Kondensatorplättchen Ladungen ab und bildet schwingende Stromkreise.“
    „Erinnert sich unser Gehirn in der gleichen Weise wie der Marax?“
    „Unser Gehirn hat zwei Arten von Gedächtnis. Das kurzfristige, das sogenannte kreisende Gedächtnis, arbeitet in der gleichen Weise wie das Gedächtnis des Marax. In nur zeitweilig miteinander verbundenen Schwingungskreisen fließen Ströme, die eine Unterbrechung erfahren, wenn sie nicht mehr gebraucht werden. Das zweite Gedächtnis stellt die Fähigkeit dar, sich an die Kindheit, an vergangenes Geschehen, an Kenntnisse, die man sich durch Lernen erworben hat, zu erinnern. Es ist grundsätzlich anders aufgebaut als das erste und beruht im wesentlichen auf Veränderungen, die an der Stelle vor sich gehen, wo sich die Ausläufer zweier Nervenzellen berühren. Es handelt sich hier um dünne Eiweißschichten, sogenannte Synapse, in denen bedingte Reflexe und Hemmungen stattfinden und wirken.
    Aber genug davon. Ich habe nur deshalb von unserem Gehirn gesprochen, damit ihr das Prinzip, nach dem der Marax arbeitet, besser begreifen könnt. Ich befürchte jedoch, daß ihr über seine Wirkungsweise noch immer sehr nebelhafte Vorstellungen habt. Also noch einfacher: Der Marax stellt ein in sich geschlossenes System dar, das ein bestimmtes Gleichgewicht der Ströme anstrebt, ähnlich wie ein Pendel, das aus seiner Gleichgewichtslage gebracht worden ist, immer danach strebt, die tiefste Lage einzunehmen. Gebe ich dem Marax eine Aufgabe zu lösen, so

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