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Der Planet des Todes

Der Planet des Todes

Titel: Der Planet des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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eine Russin, und dieser Ehe entstammte mein Vater.
    Wir lebten in einem ebenerdigen Haus, das unweit des Flugplatzes am Abhang eines Berges lag, in dem früher einmal ein Malachitbergwerk gewesen war. Mein Großvater bewohnte ein Mansardenzimmer, wo überall Bündel getrockneter Pflanzen, Tierfallen, Netze und Beutelchen mit Sämereien hingen. Da er im Winter immer fror, hatte er sich selbst einen Kamin gemauert. Mit diesem Kamin sind meine frühesten Erinnerungen verbunden. Großvater starb, als ich acht Jahre alt war. Ich sehe ihn noch genau vor mir, als einen sehr großen, ja riesenhaften Mann, der alle Räume mit seinem dröhnenden Lachen erfüllte, wenn er zu uns in die Wohnung herunterkam. Dann riß er mich in seine Arme und hob mich hoch bis an die Decke. Manchmal sang er mir etwas vor, und wie sonderbar klangen aus seinem Munde die russischen Liedchen!
    Großvater lehrte mich Bogenschießen und Drachen bauen, er spielte mit mir Bärenjagd und mauste sogar für meine bengalischen Feuer das Pulver aus Vaters Jagdpatronen. Großvaters Erscheinung beherrschte meine ganze Kindheit, und noch heute, in kritischen Augenblicken, taucht sein dunkles Gesicht mit dem weißen lockigen Haar und den starken Zähnen vor mir auf. Ich habe ihn sehr geliebt. Vor jedem verbarg er seine tiefe und ständige Sehnsucht nach der Heimat; nur ich, der kleine Junge, spürte sie in seinen wirren, mühsam ins Russische übersetzten Erzählungen, die ich allerdings nur selten zu hören bekam.
    Großvater begleitete mich jeden Tag zur Schule; denn ich war ja noch während seiner letzten Lebensjahre eingeschult worden. Meine Kameraden beneideten mich um ihn, und einige ältere fragten mich, ob ich nicht später Gedichte schreiben wolle. Sie hielten mich eben für etwas Besonderes, weil mein Großvater ein Neger war. Leider hat die Poesie keine Anziehungskraft auf mich ausgeübt; höchstens wenn man sie so auffassen will wie ich. Für mich geht die Poesie weit über die Grenzen der Gedichte hinaus, und ich finde, daß man ihr viel eher in der Luft, in den Bergen – im Kampf begegnet als hinter dem Schreibtisch. Vielleicht ist dies auch der Grund, warum ich das alles in der kleinen Kabine des „Kosmokrator“ niederschreibe, der sich mit jeder Sekunde um 25 Kilometer von meinem Zuhause entfernt. Aber ich will den Ereignissen nicht vorgreifen. Wenn irgend jemand diese Worte lesen sollte, dann muß er so viel über mich wissen, daß er selbst zu beurteilen vermag, ob er mir Glauben schenken kann. Deshalb schreibe ich über mich.
    Wie durch einen Nebel erinnere ich mich noch der Abende, besonders der langen Winterabende, die ich bei meinem Großvater verbrachte. Er erzählte mir gern Märchen, und wie er das konnte! Es waren herrliche, unendliche Märchenerzählungen, die sich wie exotische Korallenschnüre durch viele Abende hinzogen. Ich hörte ihm zu, wie wohl nur Kinder oder Verliebte zuhören können, manchmal zitternd, dann wieder begeistert, immer aber voll Entzücken. Als ich etwa sechs Jahre alt war, sprach er das erstemal über Amerika zu mir. Es waren Geschichten, die mir nicht behagen wollten; ich fürchtete mich sogar vor ihnen, nicht so sehr wegen der düsteren Stimmung, die sie verbreiteten – denn ich war nie ein Feigling –, sondern weil der Großvater dann ein ganz anderer, ein geradezu fremder Mensch wurde. Sein Schwung, seine Lebensfreude waren auf einmal verschwunden; das Lächeln wich aus seinem Gesicht, er kroch in sich zusammen, seine Sprache wurde kurz und abgehackt, er suchte nach Worten und bemühte sich, grauenerregende Einzelheiten abzuschwächen, zu mildern.
    Großvater erzählte mir, wie man ihn aus der Fabrik hinausgeworfen hatte und wie er dann mit der Eisenbahn als blinder Passagier überall in den Vereinigten Staaten herumfuhr und sein Brot mit Lastentragen verdiente. Nach einer gewissen Gerichtsverhandlung war ihm durch Schläge die Wirbelsäule verletzt worden, und als diese später steif blieb, ernährte er sich, indem er Strohmatten flocht. Vielleicht verdrehe ich die ganze Geschichte; aber so blieb sie in meiner Vorstellung haften, und so erschien mir der Großvater auch in meinen Träumen – als ein schwarzer, düsterer Riese, zwischen gewaltigen Stößen goldgelben Strohes, aus dem er unwahrscheinlich viele Matten flechten mußte, widrigenfalls er …
    Was eigentlich widrigenfalls geschehen sollte, wußte ich nicht; aber an dieser Stelle wurde der Traum zur quälenden Angst.
    Dann wieder erfuhr ich

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