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Der Planet des Todes

Der Planet des Todes

Titel: Der Planet des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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beherrschen müsse, wenn ich Schiffskapitän werden wolle. Nach einigen Wochen war ich bereits der Beste in diesen Fächern. Und später, als ich meine Neigung für die Geographie entdeckte, gab es für mich nur noch dieses eine Fach, die anderen waren abgetan.
    Nach Vollendung meines siebzehnten Lebensjahres – unsicherer denn je, was ich eigentlich beginnen sollte – trug ich mich auf gut Glück als Hörer in der Konstruktionsabteilung der Flugtechnischen Akademie in Pjatigorsk ein. Dort lernte ich Gorelow kennen, der theoretische Mechanik las. Er schenkte mir seine besondere Aufmerksamkeit, nicht etwa wegen meiner – sehr mäßigen – Fähigkeiten und Kenntnisse, sondern aus Rücksicht auf meine Mutter, die er nach seinen eigenen Worten ins Herz geschlossen hatte; denn sie war die Erbauerin des Institutes, in dem sich der Lehrstuhl und die Laboratorien Professor Gorelows befanden.
    Ich werde nie den Augenblick vergessen, da mich Gorelow nach dem nicht bestandenen oder, wie man bei uns sagte, „abgesoffenen“ Examen in theoretischer Mechanik nicht aus seinem Arbeitszimmer entließ, sondern ein Gespräch mit mir begann. Es war Juli, herrlicher, grüner Juli war es draußen vor den Fenstern, im Institutsgarten. Gorelow blickte mir in die Augen und sagte: „Gutes Metall gibt unter dem Schmiedehammer reinen Klang. Robert, du wirst mir jetzt offen und ehrlich eine Frage beantworten. Einverstanden?“
    Ich schwieg. Er mußte aber aus meinem Blick gelesen haben, daß ich wie gutes Metall sein wollte; denn nach einer Weile fuhr er fort: „Um für die Gemeinschaft und auch für sich selbst nützlich und wertvoll zu sein, muß der Mensch Freude an seiner Arbeit haben. Ich weiß, daß du die Fähigkeiten besitzt, um bei mir das Examen zu bestehen. Aber das ist zuwenig, das genügt nicht. Ich habe das sichere Empfinden, daß du dich mit ganzem Herzen der Sache hingeben könntest, die dich innerlich begeistert, die dich mitreißt. Und nun sollst du mir sagen, was für eine Sache das ist.“
    Ich vermochte nicht zu antworten.
    Gorelow sprach weiter, ohne mir in die Augen zu sehen, leise und vorsichtig, als fürchtete er, mich zu verletzen: „Sag mal, Robert, wann fühlst du dich eigentlich glücklich?“
    „Glücklich bin ich selten“, begann ich, „nur für Augenblicke. Das letztemal auf dem Dschangi-Tau – ich gehöre übrigens unserem Hochtouristenklub an, und sie sagen, ich sei ein guter Alpinist –, also dort gab es diese Augenblicke, von denen ich wünschte, daß sie nicht nur Ferien im Trainingslager sein möchten, sondern der Inhalt meines täglichen Lebens.“
    „Und was für Augenblicke waren das?“ wollte Gorelow wissen. „Wenn Gefahr drohte“, antwortete ich, ohne lange zu überlegen. „Und wenn ich die Verantwortung zu tragen hatte, zum Beispiel, als ich über die Wahl des Weges entscheiden mußte und die Kameraden über eine bisher noch unbezwungene Wand zum Gipfel führte – oder als ich an einer nächtlichen Rettungsaktion teilnahm und es mir als erstem gelang, die Verschollenen aufzufinden.“
    „Du liebst das Wagnis“, versetzte Gorelow streng. „Deine Antwort hat es erneut bewiesen. Das Wagnis mit mir ist dir jedoch nicht geglückt; ich bin ein unbezwungener Felsen.“
    Ich glaubte, er müsse lächeln; aber er lächelte nicht.
    „Hast du dich einmal selbst geprüft?“ fragte er nach einer Weile.
    Der Stolz, von dem ich zuviel besaß und – wie ich weiß – auch heute noch besitze, gab die Antwort: „Achtzehn Stunden war ich allein in der Uschbawand. Erst als sich die Nebel zerteilten, kehrte ich zurück. Das war meine erste Probe.“
    „Aber noch nicht die letzte“, entgegnete Gorelow. „War das, was du getan hast, notwendig?“
    Ich zögerte. „Nein.“
    „Ich wußte es!“ sagte Gorelow, und nun erst bemerkte ich, warum er das Gesicht vor mir verbarg: Er lächelte, lächelte still in sich hinein. Vielleicht dachte er an seine Jugend, die ihm in diesem Augenblick sehr nahe gerückt war. Dann, als käme ihm zum Bewußtsein, daß er nicht über sich selbst eine Entscheidung zu fällen habe, wandte er mir den Blick zu, und da fühlte ich es zum zweitenmal im Verlauf dieses Gespräches: Er erinnerte mich an einen mir sehr nahestehenden Menschen; ich wußte aber nicht an wen – und empfand etwas wie Furcht.
    „Die Mechaniker“, sagte Gorelow, „die Mathematiker, die Astronomen und die Männer von der Bergwacht, sie alle sind für uns unentbehrlich, und es gäbe eine Lücke,

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