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Der Planet des Todes

Der Planet des Todes

Titel: Der Planet des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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vereisten Steilhängen nur wenig Halt fanden. Von unten war die gefährliche Lage gut zu übersehen. Oben aber, wenn man versuchte, dem Grat zu folgen, glänzte überall der gleiche, blendendweiße Schnee, der den Grat und auch die tückischen Überhänge verdeckte. Die rechte Seite, bis zum Kegel des Gipfels, bildete eine schroff abfallende Wand, die nur hier und da von Schneestreifen durchzogen war. Gerade nach dieser Seite hin schoben sich Hunderte von Wächten über den Grat hinaus. Die einen verrieten sich durch ihre Buckel, andere wieder wirkten wie eine Verbreiterung des Grates.
    Unsere Blicke irrten vergeblich in die Weite, um wenigstens die gefährlichsten Stellen im Gedächtnis zu behalten. Über dem Abgrund tanzten Sonnenfunken, und vor dem blaßblauen, ruhigen Himmel flimmerten Tausende von Regenbögen. Den Pickel in der einen Hand, das straff gerollte, über die Schulter geworfene Seil in der anderen, so ging ich hinter Erik her, der nun die Führung übernommen hatte.
    Der Schnee war sehr tief, er wirbelte bei jeder Berührung auf und rauschte in Strömen in die Tiefe. Dicht vor uns hob sich der Kegel des Kantsch gegen den hellen Himmel ab, die Westseite dick verschneit, die Ostseite als kahler, abschüssiger, dachziegelartig geschichteter Fels. Erik tat einen Schritt nach rechts. Der Grat verbreiterte sich an dieser Stelle und bot einen bequemen Übergang. Ich blieb stehen. Auf einmal verschwand der weiße Vorsprung wie weggeblasen. Lautlos stürzte Erik in den Abgrund. Das Seil war für einen Augenblick schlaff.
    Ich hätte ihn bestimmt nicht halten können, ich hatte ja gar keine Zeit, mich zu sichern. So, wie ich stand, stieß ich mich mit aller Kraft ab und sprang auf der anderen Seite in die Tiefe. Die Luft pfiff mir um die Ohren, die schwarzen Flächen der Wand rasten an meinen Augen vorüber. Dann spürte ich einen heftigen Ruck und verlor die Besinnung. Ein furchtbares Stechen in der zusammengeschnürten Brust weckte mich. Ich drohte zu ersticken. Das Seil hatte sich gespannt. Über meinem Kopf befand sich in fast greifbarer Nähe ein Felsvorsprung. Der vereiste Grat war wie eine Rolle, und wir hingen zu beiden Seiten an dem Seil. Ich versuchte zu rufen, aber ich brachte keinen Ton heraus. Das Seil zerrte mit immer gleichbleibender Stärke am Gürtel. Ich hob die Hand, sie war blutüberströmt, auch auf dem Stiel des Eispickels, den ich im Fallen nicht losgelassen hatte, waren Spritzer. Schmerz verspürte ich nicht.
    Ich vermochte kaum zu atmen, geschweige denn zu rufen. Ich mußte den Rucksack auf die andere Seite schieben, um irgendeinen Griff zu finden; ich fand keinen. Mit großer Mühe gelang es mir, einen Haken einzuschlagen, und so klomm ich Zentimeter für Zentimeter, immer wieder das Seil sichernd, zum Grat hinauf.
    Vorsichtig kroch ich bis zum anderen Rand und legte mich platt auf den Bauch.
    Das Seil, das ich um den Vorsprung geschlungen hatte, hing auf der Seite, auf der Erik verschwunden war, straff hinab. Es schwang langsam wie ein riesiges Pendel hin und her. Ich konnte Erik nicht sehen, die Wand war zu steil. Ich hatte die grauenhafte Vorstellung, daß er sich den Kopf zerschmettert habe und nun als schwerer Leichnam an dem abgewickelten Seil schaukle. Noch einmal beugte ich mich über den Abgrund, und da entdeckte ich ihn. Dort unten hing er, wie ein Mehlsack.“
    Ich vermochte nicht weiterzusprechen. Das entsetzliche Bild, das ich nun wieder deutlich vor mir sah, hatte mich zutiefst erregt. Ich blickte wie hilfesuchend auf meine Gefährten, als könnten sie die heraufbeschworene Vision bannen. Es dauerte geraume Zeit, ehe ich fortfuhr: „Erik lebte, er war besinnungslos. Im Fallen war er mit dem Kopf gegen die Felswand geschlagen. Ich brauchte eine ganze Stunde, bis ich ihn auf den Grat heraufgezogen hatte. Sein Haar war wie Kohle – hart und schwarz von gefrorenem Blut, Er atmete flach. Bis ich ihm notdürftig den Kopf verbunden hatte, verging wieder eine halbe Stunde. Es war inzwischen halb vier geworden. Ich machte mich an den Abstieg. Seinen Rucksack und das Reserveseil ließ ich zurück. Zuerst versuchte ich, ihn im Schlafsack hinter mir herzuziehen, aber es war unmöglich. Ich band ihn mir auf den Rücken. Beim ersten Schritt wäre ich beinahe gefallen. Ich tat einen zweiten, dann noch einen. Es ging. Nach einer Stunde war ich bei der Spalte im Grat. Ich ließ ihn am Seil hinunter und stieg hinterher. Der weitere Weg war leicht geneigt, und das Gehen fiel mir etwas

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