Der Planet des Todes
als sie nicht verschwand, da weinte ich.“
Ich stockte.
„Es war im ersten Lager, in Gangtok, sieben Tage nach dem Vorfall. Ich hatte den Knöchel gebrochen; wie und wobei, weiß ich heute noch nicht. Außerdem hatte ich mir eine Herzerweiterung zugezogen. Die linke Herzkammer hatte sich fast bis unter die Achselhöhle verschoben. Ich war schwach, so schwach, daß ich kaum sprechen konnte.“
Wieder herrschte langes Schweigen in der Kabine. Es war, als wäre meine Erzählung schon zu Ende. Dann hob Arsenjew den Kopf und schaute mir in die Augen. „Er kam um, nicht wahr?“
„Ja. Er starb am anderen Tag. Es war alles … umsonst.“
„Das ist nicht wahr!“ rief Arsenjew heftig, geradezu drohend. „So darf niemand reden … auch Sie nicht!“
„Wollen Sie damit sagen, es sei eine Heldentat gewesen?“ fragte ich gereizt.
„Die Expeditionsgefährten gaben mir mehr als einmal zu verstehen, daß ihre Achtung seitdem noch größer geworden sei … und ich konnte mich doch nicht darüber freuen. Denn ich habe ihn gehaßt. Ja: gehaßt! Ihr könnt es alle wissen. Ich habe geflucht und gebetet, daß er sterben möge, immerzu.“
„Aber Sie sind weitergegangen!“
Ich antwortete nicht.
„Auf unserer Erde“, sagte Arsenjew, „gibt es keine Furcht und keine Not mehr: es ist vorbei mit den entsetzlichen Prüfungen, denen der Mensch früher unterworfen war. Doch es wäre falsch und schlimm, wenn wir unter dem Einfluß des allgemeinen Wohlstandes das verlieren würden, was uns hoch über alle anderen Geschöpfe erhebt. Zweifellos liegt der Unterschied zwischen Mensch und Tier in unserem Verstand; aber darüber hinaus gibt es noch etwas Wertvolleres, eine Kraft, vielleicht könnte man sie Treue nennen, die uns oftmals ausdauernder als unsere Körper, stärker als unsere Muskeln und härter als unsere Knochen macht, die uns befiehlt, auf eine von vornherein verlorene Sache alles zu setzen – wenn es um einen Menschen geht; denn das höchste Maß für den Menschen kann nur der Mensch sein. Ihr Handeln, Pilot, hat durch den Tod des Freundes um nichts an Sinn verloren. Sie waren Mensch bis zum letzten. Wären wir doch alle überall und stets imstande, mit offenen Augen Mensch zu sein.“
Er erhob sich und schlug mit der Hand auf den Tisch. „Und der Rest, Freunde … der Rest ist Schweigen.“
Der Stern Erde
Der zwanzigste Reisetag. Wie ein neuer Planet rast der „Kosmokrator“ mit ausgeschalteten Motoren hinter der Venus her. Wir können ihre Phasen, die sich wie beim Mond ändern, nun schon mit freiem Auge erkennen. Die hohe Geschwindigkeit ist überhaupt nicht spürbar. Wenn man nicht in den Televisor blickt, könnte man glauben, die Rakete ruhe unbeweglich auf der Erde. Ich laufe stundenlang im Mittelgang umher, durchquere alle Verbindungsgänge der Laderäume und kehre dann wieder in den dreieckigen Korridor zurück, bis mich von dort die wie seit Ewigkeiten herrschende Stille und das immer gleichleuchtende, künstliche Tageslicht verscheuchen.
Heute mittag, als ich am Laboratorium vorbeiging, hörte ich jemanden laut lachen. Es war Arsenjew: Sein Lachen könnte einen Toten aufwecken. In der Meinung, daß die Wissenschaftler ihre Arbeiten bereits beendet hätten – sie saßen seit dem Morgen im Laboratorium –, öffnete ich die Tür und vernahm gerade noch, wie Arsenjew zu dem Physiker sagte: „Das sind doch Scherze, Kollege! Kistiakowski hat doch bewiesen, daß der Potentialwall bei freier Rotation um die Bikarbonachse im Aethan kaum zwei Kilokalorien beträgt.“
„Verzeihung!“ stammelte ich und zog mich zurück. Ich ging in die Gemeinschaftskabine. Sie war leer. Ich blickte in den Televisor, der auf die Erde gerichtet war. Sie unterschied sich von den anderen Sternen durch ihre Größe und ihren besonders hellen Schein. Dicht über ihr hing als runder weißer Punkt der Mond. Ich hatte wohl schon eine halbe Stunde auf den Leuchtschirm gestarrt, als mir jemand die Hand auf die Schulter legte. Ich schrak zusammen. Es war Arsenjew. Eine Weile standen wir beide schweigend vor dem Leuchtschirm, dann fragte er in einem Ton, als suchte er in sich selbst nach einer Antwort: „Heimweh?“
Die Erde schimmerte in bläulichem Glanz. Der Leuchtschirm konnte einen zeitweilig die Tiefe des Raumes vergessen lassen. Ganz nahe am Rahmen des Schirmes zog sich ein mattgoldener Streifen hin, der Sternengürtel der Milchstraße. Ohne die Hand von meiner Schulter zu nehmen, fragte mich der Astronom leise: „Meiden
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