Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Planet des Todes

Der Planet des Todes

Titel: Der Planet des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
Vom Netzwerk:
leichter. Er schlug mit dem Kopf gegen meinen Oberarm; es ließ sich nicht ändern.
    Im Osten färbte sich der Himmel bereits dunkler, als ich wieder bei den Schneetürmen anlangte. Mit meiner Last konnte ich diese Hindernisse nicht überwinden. Ich wußte es, wußte aber auch, daß er erfrieren würde, bevor ich mit jemandem zurückkäme – wenn ich überhaupt imstande gewesen wäre, diesen Weg noch einmal zu machen. Und so kletterte ich auf den Lawinenhang hinab und stapfte geradeaus, quer über das Schneefeld weiter. Die Wahrscheinlichkeit, daß keine Lawine mich begraben würde, war eins zu hundert, vielleicht zu tausend – ich wagte und gewann. Mir war aber bereits alles gleichgültig, ich dachte nur noch: Gehen … gehen …! Und ich ging. Nach der Traversierung wieder den Grat zu erklimmen, dazu war ich nicht mehr imstande. Die Last auf dem Rücken hielt mich am Abhang fest. Ich fiel einige Male. Plötzlich begann ich hinabzugleiten – immer schneller … Im ersten Augenblick durchzuckte mich der Gedanke: Wehr dich nicht, es geht zu Ende. Und dann schlug ich doch instinktiv den Eispickel in den Schnee und konnte mein weiteres Abgleiten aufhalten. Ich band das Seil um den Schlafsack und machte mich erneut an den Aufstieg zum Grat. Alle paar Meter blieb ich stehen, schlang das Seil um den Eispickel und zog den Schlafsack vorsichtig herauf. Es war schon dunkel, als ich den Grat erreichte. Ich schlüpfte in den Schlafsack und verbrachte so die ganze Nacht, Seite an Seite mit Erik. Nur die ungewöhnlich warme Luft, die schon den Monsun ankündigte, rettete uns vor dem Erfrieren.
    Kaum zeichneten sich die Umrisse der Berge in der frühen Dämmerung ab, da erhob ich mich und nahm ihn wieder auf den Rücken. Ich wollte weitergehen, konnte aber auf einmal dem Gedanken nicht widerstehen, daß er tot sei. Ich näherte den Eispickel seinem Mund. Das Metall bedeckte sich mit einem dünnen Hauch. Ich machte mich auf den Weg. Die Schutzbrille hatte ich bei dem Sturz verloren. Gegen Mittag waren meine Augenlider entzündet. Zeitweise wußte ich nicht mehr, was um mich her geschah, und setzte nur noch mechanisch einen Fuß vor den andern. Manchmal weckte mich sein Atem, der mir den Nacken wärmte, aus meiner Erstarrung, manchmal gab ich selbst einen heiseren Laut, ein Stöhnen von mir, das mich für eine Weile wieder zur Besinnung brachte.
    Einige Male glaubte ich, nicht mehr weiterzukönnen. Dann mußte ich mir zureden: Zehn Schritte … und noch zehn Schritte – und so kam ich langsam weiter. Einmal, als ich einer niedrigen Gesteinswelle ausweichen wollte, stolperte ich und fiel in den Schnee. Ich blieb liegen. Eine angenehme Schläfrigkeit überkam mich. Und ich hörte eine Stimme ganz nahe an meinem Ohr: Er lebt nicht mehr. – Ich richtete mich auf und begann heimlich, wie ein Dieb, das Seil zu lösen, mit dem ich ihn an mich festgebunden hatte. Da fühlte ich sein Herz. Es schlug. Ich taumelte hoch und ging weiter. Was dann geschah, weiß ich nicht mehr. Ich aß, glaube ich, Schnee; denn es brannte mir wie ein eisiges Feuer in der Kehle.
    Die Gefährten, die im elften Lager unsere Rückkehr abwarteten, gingen uns, obwohl sie selbst krank waren, um die Mittagszeit entgegen. Nach zwei Stunden bemerkten sie auf dem höchsten Punkt des Grates einen dunklen Fleck und nahmen an, daß nur einer von uns zurückkehre. Sie waren bereits auf Rufnähe herangekommen, als sie ihren Irrtum erkannten. Ich sollte stehenbleiben und auf sie warten. Sie gäben mir Ratschläge für den Abstieg. Ich hörte nichts, ich wußte nicht, wo ich war. Zehn Schritte … und noch zehn Schritte … Auf halbem Wege erreichten sie mich und nahmen mir Erik ab. Als hätte mich nur noch die Last aufrecht gehalten, stürzte ich, mit dem Gesicht vornüber, in den Schnee. Ich erkannte niemanden mehr. In eine Zeltbahn gehüllt, trugen sie Erik hinunter ins Lager. Auch mich mußten sie hinuntertragen.“
    Lange Zeit herrschte tiefes Schweigen. Ich sah keinen der Gefährten an, ich starrte auf den schwarzen Leuchtschirm, als spräche ich in den unendlichen Raum, in dem das Ameisengewimmel der Sterne flimmerte.
    „Als ich erwachte, schien die Sonne. Ich wollte den Fuß bewegen, es ging nicht; er lag in Gips. Ich spürte eine weiche Steppdecke unter den Fingern. Durch das Fenster war ein Himmel voller weißer Monsunwolken zu sehen. Jemand trat ein und blieb, überrascht, daß ich die Augen offen hatte, in der Tür stehen. Ich strich über die Steppdecke, und

Weitere Kostenlose Bücher