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Der Poet der kleinen Dinge

Der Poet der kleinen Dinge

Titel: Der Poet der kleinen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie-Sabine Roger
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habe etwas zu spät kapiert, dass es die zwei Mistkerle waren. Ich hatte sie seit unserer ersten Begegnung nicht mehr gesehen. Sie nutzten wohl die Abwesenheit der beiden anderen, um sich deren Platz unter den Nagel zu reißen.
    Ich bin umgedreht, so diskret wie möglich. Sie hatten uns noch nicht bemerkt.
    Aber da hat Roswell, der seit gut zehn Minuten still war, eins einer berühmten Soli angestimmt. Da konnte ich »Pscht!!!« zischen, so viel ich wollte. Es war zu spät.
    Ich habe eine Stimme rufen hören: »Hey, schau mal, da ist ja der Affe!«
    Und gleich darauf: »Hey, Typ! Hallo! Hey?! Warte!«
    Ich hörte Schritte, Gelächter und keuchenden Atem in meinem Rücken. Der Kleinere hat uns überholt und ist dann stehen geblieben, um uns den Weg zu versperren. Ich habe gespürt, wie der Zweite mich an der Schulter packte.
    Ich habe ihn mit einer schroffen Bewegung abgeschüttelt.
    Er hat gelacht. »O Mann, bist du nervös!«
    Der Kleine hatte ein Frettchengesicht, vorstehende Zähne, einen verwaschenen Blick, zugleich böse und leer. Er ging o-beinig, als hätte er sein Pferd vor dem Saloon vergessen oder als trüge er eine Windel unter seiner zu großen Hose, die ihm bis in die Kniekehlen hing.
    Das fand er wohl besonders männlich. Er sah extrem bescheuert aus.
    Er hat sich vor Roswell hingehockt und ihn angegafft wie ein Tier hinter Zoogittern. Er hat zu seinem Kumpel gesagt: »O Mann, guck dir das mal aus der Nähe an!«
    Der Typ hat mich losgelassen und ist um die Karre rumgegangen. Er hatte engstehende, kleine schwarze Augen, war an den Seiten rasiert und hatte ein Büschel platinblond gebleichter Schamhaare oben auf dem Kopf. Tätowierter Hals, Gesicht voller Aknenarben. Er hat gelächelt, da habe ich gesehen, dass er vorn einen abgebrochenen Zahn hatte.
    Ich habe mich näher zu Roswell gestellt, um ihn zu beruhigen und zur Not zu beschützen.
    »Na, du? Du bist aber ganz schön hässlich, weißt du das?«, hat der Große mit gespielt freundlicher Stimme zu ihm gesagt.
    Wenn man bedachte, wer das sagte, hätte das lustig sein können. War es aber nicht.
    Roswell hatte aufgehört zu singen, er schaute die beiden Loser an, mal den einen, mal den anderen. Plötzlich hat er beide Hände vorgestreckt, gekrümmt wie Krallen, und mit einer ganz kleinen Stimme »Grrrr!« gemacht.
    Die beiden Pfeifen haben sich kaputtgelacht.
    »Okay, und jetzt lasst uns in Ruhe.« Ich versuchte, entspannt zu klingen, um zu zeigen, dass ich keine Angst vor ihnen hatte.
    Der Größere hat sich aufgerichtet und mich von oben herab gemustert – er war zwei Köpfe größer als ich. »Hast du ein Problem, kleine Schwuchtel? Was dagegen, dass wir ihn anschauen, deinen Affen?«
    Da ist es aus mir rausgebrochen: »Arschloch!«
    Seine Ohrfeige ist genauso schnell zurückgekommen, und mir sind Tränen in die Augen geschossen.
    Der Kleine nahm von alldem keine Notiz, er hockte vor Roswell und fragte ihn, ob er ein Zuckerchen wollte und ob er Männchen machen konnte.
    Ich habe den Großen zurückgestoßen und mir eine zweite Ohrfeige eingefangen. Und eine dritte und vierte.
    Ich versuchte, nicht in Panik zu geraten und jenen berühmten Kniestoß zum Einsatz zu bringen, den alle Mädchen in der Theorie von klein auf lernen, den sie aber, egal wie ihre Phantasien auch aussehen mögen, nur selten ausführen.
    Er schubste und schlug mich abwechselnd und brüllte auf mich ein. »Du suchst Ärger, ja, kleiner Scheißer?«
    Ich versuchte mich zu schützen, aber es hagelte Hiebe auf den Kopf, auf die Schultern, in die Rippen, er schlug wild drauflos, mit den Armen rudernd und ohne Ziel, wie einer, der nicht kämpfen kann. Und dann habe ich plötzlich einen sehr heftigen, brutalen Schlag in eine Brust abgekriegt, der mich fast umgehauen hat. Da habe ich reflexartig mit dem Kopf zugestoßen. Es fühlte sich an, als wäre ich mit der Stirn gegen eine Wand gerannt, und der Große brüllte mit erstickter Stimme, die Hand auf den Mund gepresst: »Verdammter Hurensohn, ich schlag dir die Fresse ein!«
    Seine Lippe und Nase bluteten. Mein Schädel tat höllenmäßig weh, es pochte bis in den Nacken.
    Der andere war dabei, Roswell bäuchlings durchs Gras zu schleifen, direkt auf den Kanal zu.
    Ich wollte mich auf ihn stürzen, aber der Große hielt mich fest. Meine Jacke blieb zwischen seinen Händen hängen, dann packte er mein T-Shirt so, dass es mir bei dem Versuch, mich loszureißen, über den Kopf rutschte.
    Ich stand quasi nackt da.
    Der Große hat

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