Der Poet der kleinen Dinge
werde.
Er spricht mir nach. Ich korrigiere ihn. Und das alles für nichts und wieder nichts. Hoffe ich jedenfalls. Egal, ich mache weiter. Dann werde ich mir einreden können, ich hätte etwas für ihn getan. Mit ruhigem Gewissen weiterziehen und mir sagen, dass ich »meine Pflicht erfüllt« habe (wie ich diesen Ausdruck hasse!).
»Ichheiff Schérard Schhanschheff.«
»Sanchez!«
»Schhanschhesss.«
»Sssanchez! Streng dich an, los! SSS anchez!«
»Mja: Schhanschhesss!«
»Na gut. Und wo wohnst du?«
»Schleuffenfeg.«
»Schleusenweg, genau. Welche Hausnummer?«
»Achfehn.«
»Super!«
»Sssuper!«
»Ja.«
Ganz toll.
I ch bin einfach los und habe dann unterwegs beschlossen, einen Abstecher in die Stadt zu machen.
Ich bin durch den La-Fontaine-Park gegangen, es wurde langsam dunkel, die Kinder waren schon alle zu Hause, es waren nur noch ein paar Liebespärchen da und zwei, drei Alte, die es nicht eilig hatten, zurück ins Heim zu kommen. Und kleine Grüppchen von Jugendlichen.
Ich sehe sie oft hier rumhängen, sie hocken stundenlang schweigend nebeneinander auf den Banklehnen. Abends findet man sie in den Kneipen der Stadt wieder, und wenn sie betrunken genug sind, gehen sie in die Disko. Der Alkohol ist dort ziemlich teuer, und man sollte schon halbwegs blau sein, um wirklich einen draufzumachen und sich zu trauen, jemanden aufzureißen, wenn man schon mal da ist.
Jung zu sein in diesen sterbenden Städten – immer weniger Jobs, immer weniger Kohle – muss verdammt deprimierend sein. Ich glaube, da bin ich lieber dreißig.
Auf der Hauptstraße ist mir dann Vanessa entgegengekommen, die mit mir in der Fabrik arbeitet. Sie hat mir zugewunken, sie war mit ihrem Kerl unterwegs und wollte ihn mir vorstellen.
Wir sind etwas trinken gegangen, gleich gegenüber vom Park. Ihr Freund hat mich mit den Augen ausgezogen, ruck, zuck, und mich dann keines Blickes mehr gewürdigt. Nicht genug Busen, nicht genug Hintern.
Ich hatte ihn genauso schnell abgecheckt: Skilehrertyp, Macho, arrogant bis zum Anschlag.
Während Vanessa und ich uns unterhielten, begaffte er hemmungslos und seelenruhig alle Frauen um uns herum. Einer hat er sogar hinterhergepfiffen. Unser Gespräch langweilte ihn, und er machte ein genervtes Gesicht. Er spielte mit seinem Autoschlüssel, ließ ihn in seiner Handfläche auf und ab hüpfen, wodurch sein Namensarmband auf dem Blechtisch klapperte. Er seufzte zwei, drei Mal. Dann schaute er auf seine Uhr, ein schönes Modell, ganz aus blitzendem Stahl, mit einem Haufen verschiedener Anzeigen, damit er auch ja genau weiß, wie spät es in Moskau und in Wien ist, wenn er hier um acht Uhr pinkeln geht. Wasserdicht bis mindestens hundert Meter, was er bestimmt jeden Tag ausnutzt. Es tat ihm sicher leid, dass er den Preis nicht drangelassen hatte. Die geballte Blödheit, der Typ. Die reinste Karikatur.
Auf einmal hat er uns dann einfach unterbrochen und gemeint, das Fußballspiel finge bald an und wir würden hier ja wohl nicht Wurzeln schlagen wollen.
Vanessa hat schwach protestiert: »Warte, wir können uns doch mal fünf Minuten unterhalten!«
Da hat er gesagt: »Reiß das Maul nicht so weit auf, nur weil deine Freundin dabei ist, klar?«
»Aber warte, wir können doch ein bisschen reden!«, hat Vanessa entgegnet, im gleichen Ton.
Sie schaute mich mit einem kleinen Lächeln an, das vertraulich sein sollte, ein klägliches, tristes Lächeln, das mir zu sagen versuchte: Ach, er spielt sich auf, aber er ist nicht bösartig, das ist eben seine Art. Männer, du weißt ja …
Da ist er plötzlich aufgestanden und hat gesagt: »Ich hau ab, du bleibst hier oder kommst mit, ist mir scheißegal.«
»Aber waaarte doch!«
Vanessa hatte keine weiteren Argumente.
Er hat sie von oben bis unten angeschaut, mit einem irren Besitzerblick, der es mir eiskalt den Rücken runterlaufen ließ. Dann hat er angefangen, laut zu zählen, mit den Fingern: »Eins … zwei …«
»Okay, ist ja gut, ist ja gut! Dann geh ich mal besser, Alex. Wir sehen uns morgen, ja?«
Der Idiot war schon losgestürmt, mit großen Schritten, ohne sich auch nur zu verabschieden. Was für ein Arschloch!
Vanessa hat in aller Eile ihre Sachen eingesammelt, Jacke, Schal, Tasche. Sie hat gemeint: »Es ist wegen dem Spiel, verstehst du?«
Ich habe ihr zugezwinkert: »Na klar, mach dir keinen Kopf!«
Und sie ist auf ihren zehn Zentimeter hohen Absätzen hinter ihm hergetrippelt, in kleinen Schritten wegen des engen Rocks,
Weitere Kostenlose Bücher