Der Poliziotto tappt im Dunkeln (German Edition)
Schauer über den Rücken.
«Ach Gott», schluchzte Donna Domenica plötzlich auf und lehnte ihren Kopf an seine Schulter. «Wo soll ich nur unterkommen? Ich kann mich doch nicht von Carlo trennen und noch am selben Abend wieder unter die gemeinsame Bettdecke kriechen.»
Noch ein Schauer. Sie klebte an ihm wie Juckpulver, und als er einige Minuten später die Tür zu Totos Bar Federico aufstieß, hatte er größte Mühe, einigermaßen sicher über die Türschwelle hinwegzukommen, ohne zu stolpern oder gar draufzutreten.
Bei Toto war die Hölle los. Eine Traube von Menschen stand eng gepackt mitten in der Bar. Alle schnatterten durcheinander. Außerdem plärrte eine unsägliche Musik aus den kleinen Boxen, die in jeder Ecke unter der Decke hingen. « Una festa sui prati, una bella compagnia », Adriano Celentano. Das war selbst für Roberto, dem die Vergangenheit grundsätzlich interessanter erschien als jede Facette der Gegenwart, ein wenig zu viel des Guten. Toto werkelte mit einem glückseligen Dauerlächeln hinter der Theke. Offenbar wurde eine Menge bestellt.
«Toto, einen Passerina. Und ein paar Scheiben pane comune », rief Roberto.
«Ich dachte, wir trinken einen Prosecco», maulte Donna Domenica.
Roberto holte schweigend ein Fläschchen mit seinem frischgepressten Olivenöl hervor. Eigentlich war er nach dieser langen Nacht viel zu müde für einen Wein, aber es gehörte nun mal zu seinem alljährlichen Ritual, sein Öl bei Toto mit einem Glas lokalen Weißweins und mit frischem, ungesalzenem Weißbrot das erste Mal zu probieren. Er griff noch einmal in seine Tasche und holte ein zweites Fläschchen hervor, mit einem Etikett beklebt, auf dem mit krakeliger Schrift tedesco geschrieben stand; er hatte sich von Lorenzetti eine Probe von Grubers Öl mitgeben lassen.
Die Tür öffnete sich erneut. Die Rentner Attilio Brozzi und Egidio Cecchetti. Sofort wurde ein Teil der Traube ganz hektisch, rief und winkte und machte Platz für die beiden. Ein Gang öffnete sich, und jetzt sah Roberto, wem das Interesse der Menschenmenge galt: Franco Varese stand dort in der Mitte, bleich, mit aufgerissenen Augen und leicht schwankend, in der Hand ein Glas mit frischgepresstem Orangensaft, das er so schräg hielt, dass es sich schon halb auf den Boden entleert hatte. Offenbar hatte er es zu Hause nicht alleine ausgehalten. Attilio ging mit ernstem Gesicht auf ihn zu, gefolgt von Egidio, dessen Miene nichts anderes sagte als: Bitte sehr, haben wir es euch nicht immer schon gesagt?
«Erzähl, Franco», sagte Attilio. «Wir haben Kunde von einer Erscheinung erhalten.»
«Es war ein Mensch aus Lehm», schauderte Franco.
«War er plötzlich da, oder hast du ihn zuvor kommen sehen?»
«Es war am Ende der Sackgasse», antwortete Franco.
Attilio und Egidio nickten sich wissend zu. «Er war plötzlich am Ende einer Sackgasse, ohne zuvor an unserem Freund», Attilio meinte Franco, «vorbeigegangen zu sein. Wie ist der wohl dahin gekommen?» Er gestikulierte in den Himmel. Gut eine Hälfte der Traube nickte konzentriert, die andere Hälfte wirkte skeptisch.
«Ganz einfach, er war schon vor Franco in der Sackgasse», sagte Roberto. Er entkorkte das kleine Fläschchen mit seinem Öl und goss etwas davon über das Weißbrot. Sofort verbreitete sich der frisch-fruchtige Duft, wie ihn nur die Leccino-Olive hervorbringen kann. Lächelnd biss Roberto ab und schloss die Augen. Wenn jetzt noch der ebenso typische, sanft-bittere Geschmack und im Abgang dieses leichte Kratzen im Hals hinzukamen, dann war alles bestens. Er schluckte ein wenig. Porca madosca , herrlich, ein Gedicht von einem Öl! Oder? Mit der Zunge verteilte er das Öl in der gesamten Mundhöhle. Fehlte da doch eine gewisse Note? War da vielleicht ein Hauch von durch Oxidation hervorgerufenem Muff? Weil seine Oliven doch eine Spur zu spät gepresst worden waren? Weil sich dieser Deutsche an der frantoio oro vorgedrängelt hatte? Misstrauisch roch er an dem Fläschchen.
«Willst du mir nicht auch etwas anbieten?», giftete Donna Domenica.
Roberto schwieg demonstrativ, irgendwie musste er die Ex-Schuhverkäufergattin wieder loswerden. Erst als er die Augen wieder öffnete, bemerkte er die vorwurfsvollen und bösen Blicke der etwas größeren Hälfte der Traube, die ihn offenbar die ganze Zeit angestarrt hatte.
«Für den Herrn Poliziotto mag ja eine Erscheinung, die aus dem Nichts kommt, etwas Normales sein», sagte Attilio. «Für uns nicht.» Jetzt nickte nicht nur die
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