Der Poliziotto tappt im Dunkeln (German Edition)
vergessen hast.»
«Mag ja sein, aber mir als Gast geht sie auf die Nerven.»
«In einer Bar gilt kein demokratisches Prinzip.»
«Eben. Und ich will, dass du die Musik ausmachst.»
«Das hat Konzept», maulte Toto und drückte die Stopptaste. «Es gibt eine Studie, die besagt: Wird in einer Bar der Musikpegel verdoppelt, trinken die Gäste ihre Getränke im Schnitt drei Minuten schneller und bestellen häufiger nach.»
«Was soll’s, wenn keiner da ist?», grinste Roberto. Manchmal hatte er ein schlechtes Gewissen, weil er Toto so gerne ärgerte, aber lange hielt das nie an. Er wandte sich wieder dem Ohnmächtigen zu, und dieses Mal verpasste er ihm eine richtige Ohrfeige. Franco schreckte hoch. Sofort fing er wieder mit der Zitterei an, seine Augen flitzten umher wie Glühwürmchen auf Koks, und er brabbelte Unverständliches vor sich hin. Roberto brachte sein Ohr ganz nah an seinen Mund.
«Er will mich», flüsterte Franco, «er will mich, mich, ich bin es, den er will …»
«Na klar», antwortete Roberto und zog ihn auf die Beine. «Nur für den Fall, dass du es noch nicht gemerkt hast: Du lebst, und es ist Ruggero Grilli, der tot ist.»
Franco packte ihn mit beiden Händen. «Ich bin nirgends mehr sicher. Nirgends. Du musst mich verstecken.»
Donna Domenica warf Roberto einen vorwurfsvollen Blick zu. War ihre Situation nicht wesentlich dramatischer, brauchte sie nicht viel dringender seine Hilfe?
Roberto musste nicht lange überlegen. «Geht klar, Franco. Auch wenn ich äußerst beengt lebe», was natürlich Blödsinn war, «und bei mir eigentlich ganz und gar kein Platz für einen Mitbewohner ist – für ein, zwei Tage kannst du bei mir wohnen.»
Donna Domenica würdigte ihn keines Blickes mehr und dampfte hoch erhobenen Hauptes davon. Francos Zittern legte sich ein wenig, und zum ersten Mal erspürte Roberto bei ihm etwas, was ihm sehr zu denken gab: eine beklemmende, tiefe Todesangst.
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6.
Malpomena zog an ihren Latexhandschuhen, bis sie mit einem lauten Knall von ihren Händen flitschten. Der tote Ruggero Grilli lag auf einem metallenen Seziertisch im Istituto di Chimica Generale ed Inorganica gegenüber dem Palazzo Ducale, wohin Malpomena die Leiche hatte bringen lassen, falls sie für die forensische Diagnose einen Dünnschicht- und Gaschromatographen benötigen würde.
«Er wurde brutal zusammengeschlagen. Gebrochene Nase, ein Hämatom am Rücken, etwa dort, wo sich die linke Niere befindet, und es gibt eine Pression des Kehlkopfes. Hat er sich gewehrt? Ich weiß es nicht. Ist er an einer dieser Verletzungen gestorben? Ich glaube nicht.»
«Und wieso ist er dann tot?»
«Ach, Roberto, für uns Mediziner ist das Leben ein flüchtiges Gut. Manchmal», sie schnippte mit den Fingern, «geht es einfach so von uns.» Deprimiert starrte sie den toten Ruggero Grilli an und wippte ein wenig seinen linken Arm auf und nieder. «Sieh an. Rigor Mortis. Vorhin beschränkte sich die Leichenstarre noch auf Kinn und Nacken. Doch bald, bald wird sie den gesamten Körper erfasst haben. Und hier?» Sie stach mit dem Zeigefinger in Ruggeros Gesäß, dort, wo es den Tisch berührte und im Gegensatz zur oberen Seite eine tief purpurne Farbe abgenommen hatte. « Fixed livitidy . Im liegenden Körper sackt alles Blut nach unten, daher die purpurne Farbe der Haut. In den ersten Stunden nach dem Tod färbt sich eine Druckstelle noch weiß. Nach sechs bis acht Stunden jedoch gibt es keine Weißfärbung mehr, wie wir hier beobachten können. Ein weiteres Mittel, um den Todeszeitpunkt festzustellen.»
Ein dumpfes Geräusch ließ beide herumfahren. Wieder lag Franco ohnmächtig am Boden.
«Was hat er?», fragte Malpomena kopfschüttelnd.
«Mir scheint, er kann mit Leichen nicht so gut.»
«Hast du ihm die Mercurius solubilis Hahnemanni C30 gegeben?»
«Er hat sie alle auf einmal geschluckt.»
«Herrgott noch mal.»
«Ist das schlimm?»
Malpomena überlegte eine Weile. «In einer Sache unterscheiden sich Schulmedizin und Homöopathie kaum: Bei beiden beruhen Heilungen zu gut fünfzig Prozent auf dem Placeboeffekt.» Sie sah Roberto auffordernd an, aber der tat ihr nicht den Gefallen nachzufragen. Stattdessen verpasste er dem Musiker eine saftige Ohrfeige, was deutlich wirksamer war als jeder Placeboeffekt. Mit einem tiefen Seufzer, als wäre er gerade dem Ertrinken entronnen, riss Franco seine Augen auf und fing an, vor sich hin zu brabbeln.
«Was sagt er?», fragte Malpomena ein
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