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Der Poliziotto tappt im Dunkeln (German Edition)

Der Poliziotto tappt im Dunkeln (German Edition)

Titel: Der Poliziotto tappt im Dunkeln (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uli T. Swidler
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halbe, sondern die gesamte Traube. Attilio Brozzi hatte es ziemlich gut raus, zaudernde Menschen auf seine Seite zu ziehen. Bevor er Rentner wurde, war er Funktionär bei CISL, der Confederazione Italiana Sindacati Lavoratori , gewesen, dem Arbeitergewerkschaftbund.
    «Franco hat einen Mord beobachtet. Das hat ihn ein wenig aus der Bahn geworfen», sagte Roberto.
    «Es war ein Golem», sagte Franco, und wieder spielten seine Augen verrückt.
    Attilio breitete die Arme aus. «Aha, ein Golem. Ein jüdisches Wesen. Ein jüdisches», er senkte die Stimme, «Monster.» Allgemeines Geraune.
    «Einer meiner Onkel ist auch Jude», flüsterte Donna Domenica.
    Roberto biss ein weiteres Stück Olivenölbrot ab und spülte mit einem Schluck Passerina nach. Attilio Brozzi, Egidio Cecchetti und ihre Anhänger waren das Nervigste, was Urbino zu bieten hatte. Die beiden litten unter Verschwörungs-Diarrhö, hatte Malpomena einmal diagnostiziert, einem geistigen Durchfall, wie ihn nur Rentner hervorbringen, die sich tödlich langweilen. Tatsächlich sonderten sie täglich einen Strom von Geschichten ab, von denen eine abstruser war als die nächste: über die Regierung in Rom, die es gar nicht gibt; über einen Hangar der US-Air-Force, in dem ein Außerirdischer lebt, ein Energie-Lotse, der Energieströme ins Weltall leiten kann und für die weltweit sich häufenden Stromausfälle verantwortlich ist; und über Kondensstreifen am Himmel, mit denen Außerirdische Stück für Stück unsere Atmosphäre mit einer Substanz sättigen, die die DNA der Menschen verändert. Zum Glück verkehrten Attilio und seine Weltuntergangs-Apologeten nur in der Bar della Mura, die deswegen im Allgemeinen Bar Complotto genannt wurde.
    «Er löste sich an der Synagoge in Luft auf», sagte Franco.
    «Hört ihr das? Hört ihr das?», rief Attilio.
    Allgemeines Schaudern.
    «Es war ein –»
    «Franco?» Roberto blieb ganz ruhig. «Wenn du das Wort noch einmal sagst, bring ich dich in die alte Beugehaftzelle im Palazzo di Giustizia . Und du, Attilio, du nimmst am besten deine Bande und verziehst dich. Geht in eure Bar Complotto, da könnt ihr weiterspintisieren.»
    «Wir haben Grundrechte, wir dürfen –»
    «Ihr habt vor allem einen Sprung in der Schüssel. Und wenn ihr mir weiter auf die Eier geht, kann ich ja mal aufzählen, was ihr sonst noch so habt.»
    «Da ist es, das hässliche Gesicht unserer Staatsmacht! Willkür, reine Willkür», höhnte Egidio und sah Attilio beifallheischend an. Natürlich waren das nicht seine eigenen Worte, er zitierte lediglich seinen Herrn und Meister, den ehemaligen Gewerkschaftsfunktionär. Egidio Cecchetti war der geborene Speichellecker.
    Roberto wandte sich dem Rentner zu. «Beleuchten wir doch mal das Gehirn hinter deinem Gesicht, Egidio. Da haben wir es mit einer Rosine zu tun, die sich einbildet – nur ein Beispiel –, dass niemand merkt, wie du jedes Jahr beim Pflügen deines Feldes unten an der Via Crocicchia die Grenzsteine einen halben Meter weiter in das Land deines Nachbarn schiebst. Das hast du jetzt zum dritten Mal gemacht. Macht ein Meter fünfzig.»
    «Also, wenn», stammelte Egidio, «wenn, dann kann das nur ein Versehen sein, Roberto, ehrlich.»
    «Ein Versehen, aha. Nun, aus Versehen habe ich es immer vergessen, dich darauf hinzuweisen. Aber ich denke, dieser Moment ist ganz günstig, findest du nicht?»
    Plötzlich herrschte betretene Stille. Jeder dachte wohl über eigene kleine Verfehlungen nach und fragte sich, wie viel der Poliziotto davon wusste.
    «Grenzen sind was Heiliges, Cecchetti. Wer die verletzt, bekommt es mit den im Jenseits herrschenden dunklen Mächten zu tun, und die ahnden so was auch im Diesseits aufs strengste.»
    «Du siehst dich also als Vertreter der dunklen Mächte im Jenseits, Poliziotto?», mischte sich Attilio ein.
    «Halt die Klappe», pflaumte Roberto zurück, erstaunt über Attilios Unverfrorenheit.
    «Hört mal her», sagte Toto und platzierte sein Laptop oben auf der Theke, nachdem er zuvor lässig ein wenig auf der Tastatur herumgetippt hatte. «Ata bra Golem devuk hakhomer v’tigtzar tzedim khevel torfe yisrael.»
    «Drehst du jetzt auch durch, Toto?», fragte Roberto, entkorkte das Fläschchen mit Grubers Öl und träufelte etwas davon auf ein weiteres Stück Weißbrot. Von der Farbe her war da kein Unterschied zu seinem eigenen Öl.
    «Das ist Hebräisch und bedeutet: ‹Schaffe du aus Lehm einen Golem und überwinde das feindselige Pack, welches den Juden

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